Tote und Verletzte nach Schüssen in einer Konzerthalle bei Moskau
Am Freitagabend machten Bilder der Gewalt die Runde durch russische Telegram-Kanäle. Man sieht, wie mehrere Bewaffnete, mindestens manche von ihnen in Tarnkleidung, das Feuer auf Besucher der „Crocus City Hall“ eröffnen, offenkundig wahllos und wohl aus Sturmgewehren. Solche Bilder kamen aus dem Foyer des Veranstaltungszentrums am Rande von Moskau ebenso wie aus dem Saal selbst. Der Inlandsgeheimdienst FSB teilte mit, dass 40 Menschen getötet und mehr als 100 verwundet worden seien.
Wohl jeder, der Musik mag in Russlands Hauptstadt, kennt den Ort des blutigen Angriffs: In der „Crocus City Hall“ finden fast jeden Abend Konzerte statt. An diesem Abend sollte dort die russische Rockgruppe „Piknik“ auftreten. Sie blieb unverletzt, das Massaker – denn darauf deutete ausweislich der Bilder zahlreicher Getöteter rasch alles hin – begann vor dem Konzert, mit Schüssen auf diejenigen, die noch rasch in den Saal eilen wollten. Das Gebäude ging in Flammen auf, in einem der Videos von Augenzeugen heißt es, die Angreifer hätten es angezündet. Auch zu Explosionen kam es. Die Rede war davon, dass noch rund hundert Personen im Inneren des Gebäudes sein könnten.
Laut der Staatsnachrichtenagentur Tass waren auch auf dem Dach Menschen, die auf Hilfe warteten. In die „Crocus City Hall“ passen rund 6200 Zuschauer, das Konzert war ausverkauft. Zum Veranstaltungszentrum kamen Feuerwehrleute und Polizisten verschiedener Sondereinsatzgruppen, die das Gebäude stürmten. Zudem kam Andrej Worobjow, der Gouverneur des Gebiets um die Moskauer Hauptstadt, auf deren Territorium das Veranstaltungszentrum liegt. Schaulustige und auch Medienvertreter wurden auf dem Parkplatz vor dem Gebäude immer weiter zurückgedrängt, es kam dort auch zu Festnahmen, während aus dem Gebäude Leichname in schwarzen Plastiksäcken getragen wurden.
Botschaften warnten vor Besuch von Menschenansammlungen in Moskau
Ein Korrespondent der Staatsnachrichtenagentur Ria Nowosti sprach von drei Bewaffneten in Flecktarn, die aus Sturmgewehren das Feuer eröffnet hätten. Danach hätten sie einen Sprengsatz gezündet, der den Brand ausgelöst habe. Die Leute im Saal hätten sich auf den Boden gelegt und seinen nach 15 bis 20 Minuten hinausgerobbt. Videoaufnahmen zeigen indes Szenen der Panik. Auch war in manchen Berichten von mehr Tätern die Rede, von fünfen oder gar noch mehr.
Im Telegram-Kanal „Mash“ wurde ein angeblicher Augenzeuge mit der Aussage zitiert, es seien „mindestens fünf“ Angreifer gewesen, und zwar „Bärtige“, die wie „vorbereitete und ausgebildete Kämpfer“ wirkten. Das würde auf Islamisten weisen. Ein Telegram-Kanal mit Verbindungen in den Sicherheitsapparat veröffentlichte Fotos von fünf jungen Männern mit Bart und schrieb unter Nennung von drei Namen, gefahndet werde nach Verdächtigen, die aus der Nordkaukausus-Teilrepublik Inguschetien stammten – zog Meldung und Foto aber alsbald wieder zurück.
Moskaus Bürgermeister, Sergej Sobjanin, sprach von einer „fürchterlichen Tragödie“ und kondolierte den Hinterbliebenen der Getöteten. Russlands Menschenrechtsbeauftragte, Tatjana Moskalkowa, sprach von einem Terroranschlag, das Ermittlungskomittee eröffnete ein entsprechendes Verfahren. Vor zwei Wochen hatten die Botschaft der Vereinigten Staaten in Moskau und im Anschluss daran die Botschaften weiterer westliche Staaten davor gewarnt, Menschenansammlungen in der Hauptstadt zu besuchen, die von „Extremisten“ angegriffen werden könnten. Präsident Wladimir Putin hatte das am Dienstag als Versuch kritisiert, „unsere Gesellschaft einzuschüchtern und zu destabilisieren“. Putins Sprecher teilte am Freitagabend mit, der Präsident sei innerhalb der ersten Minuten über das Geschehen in der „Crocus City Hall“ informiert worden.
Im Jahr 2002 hatten nordkaukasische Terroristen Hunderte Besucher des Moskauer Dubrowka-Theaters in ihre Gewalt gebracht und gefordert, dass sich russische Truppen aus Tschetschenien zurückziehen sollten. Spezialeinheiten des FSB beendeten damals die Geiselnahme, indem sie eine toxische Gasmischung in das Ventilationssystem des Theaters pumpten, das Gebäude stürmten und die betäubten Terroristen erschossen. Nach offiziellen Angaben kamen auch 130 Geiseln ums Leben, nach inoffiziellen noch mehr. In Russland ist es in der Vergangenheit auch zu Anschlägen islamistischer Terroristen wie solchen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gekommen.
Der Investigativjournalist Christo Grosew, der unter anderem an der Aufklärung des Mordanschlags auf den vor Kurzem in Haft gestorbenen Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyj 2020 beteiligt war, sagte nun dem exilrussischen Sender „TV Doschd“, der FSB habe vor Kurzem IS-Terroristen festgenommen. Doch trainiere der Militärgeheimdienst GRU selbst afghanische Kämpfer in Russland. Das Amt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sowie russische Regimegegner, die aufseiten der Ukraine kämpfen, bestritten, an dem Angriff auf die „Crocus City Hall“ beteiligt zu sein.
Doch mehrten sich am Freitagabend Stimmen in Moskau, die bestrebt waren, den Angriff der Ukraine anzulasten. Anderen voran teilte Dmitrij Medwedjew, Putins Stellvertreter im Vorsitz des russischen Sicherheitsrats, auf Telegram mit, sollte festgestellt werden, dass „Terroristen des Kiewer Regimes das waren“, müssten sie gefunden und „gnadenlos vernichtet“ werden, „einschließlich der offiziellen Vertreter des Staates, der eine solche Untat begangen hat“. Das Oberhausmitglied Viktor Bondarjow erklärte Ria Nowosti, es handele sich um einen Terroranschlag ukrainischer Diversanten. Ein Sonderbeauftragter des russischen Außenministeriums für „Verbrechen des Kiewer Regimes“ erklärte, Russland werde eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu dem Angriff auf die „Crocus City Hall“ beantragen. Dabei teilten die Sicherheitsbehörden zur selben Zeit mit, dass die Täter noch gesucht würden. Am späten Abend hieß es, die Angreifer seien in einem weißen Renault auf der Flucht.