Merz auf CDU-Parteitag: „Bereit, Verantwortung zu übernehmen“
Die CDU will Deutschland wieder regieren und ihr Parteivorsitzender Friedrich Merz sieht sie dafür personell, organisatorisch und programmatisch gut aufgestellt. Die Union sei „sofort und spätestens im Herbst kommenden Jahres wieder bereit, Verantwortung für Deutschland zu übernehmen“. Deutschland könne es besser, sagte Merz in seiner gut neunzig Minuten dauernden Rede zu Beginn des in Berlin tagenden Parteitags. Das Land müsse aber auch „endlich wieder gut regiert werden“.
Merz, der wohl selbst ins Kanzleramt strebt, wurde zu Beginn seiner Rede von stürmischem Beifall der 1001 Delegierten begrüßt. Der CDU-Politiker hielt dann eine sehr grundsätzliche, sachorientierte Rede, die auf Polemik über weite Strecken verzichtete. Nur gelegentlich boten vereinzelte Polemiken während seiner Ausführungen Anlässe für Zwischenbeifall. Etwa als Merz dafür warb, „das Bürgergeld der Ampel in dieser Form wieder abzuschaffen“. Solidarität und Eigenverantwortung müssten neu justiert werden „und da ist in den letzten Jahren einiges aus dem Lot geraten“, sagte Merz. „Gute Sozialpolitik ist eine Politik, die Menschen zur Selbstverantwortung bewegt.“ Die Vorschläge der Union seien „Voraussetzung dafür, dass unser Sozialstaat wieder funktionieren kann“. Eine gerecht Sozialordnung war und bleibe Markenzeichen der CDU.
Die CDU habe in 75 Jahren Bundesrepublik mehr als 50 Jahre regiert und wolle nun wieder Verantwortung übernehmen: „Maximal vier Jahre Ampel sind genug“, sagte Merz unter dem Applaus der Delegierten. Jeder Tag, den die gegenwärtige Regierung früher abgelöst werde, sei „gut für Deutschland“. Die Welt erlebe „tektonische Verschiebungen“, Freiheit und Frieden auf dem europäischen Kontinent stünden auf dem Spiel. Doch „Frieden entsteht nicht allein durch Friedfertigkeit“, so Merz an die SPD gewandt.
An der Vernachlässigung der Truppe „nicht ganz unbeteiligt“
Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung der Bundeswehr – „daran waren wir nicht ganz unbeteiligt“ – müsse weitaus mehr geschehen, als 100 Milliarden Euro zu investieren. Was genau, führte Merz in seiner Rede nicht aus. Er warb für ein verpflichtendes Dienstjahr für junge Leute, das ihnen Gelegenheit bieten könne, etwas von dem zurückzugeben, was ihnen das Land ermögliche. Die Union habe in der Vergangenheit entscheidende Weichen der Außen- und Sicherheitspolitik gestellt, zunächst oft gegen Meinungsumfragen und dann mit Überzeugungskraft Mehrheiten gefunden.
Die Union, so Merz, vertrete eine „Leitkultur, die nicht verhandelbar ist.“ Dazu gehöre den Kampf gegen Antisemitismus und Israel-Hass, das Bekenntnis zu Europa. Die Europäische Union bewähre sich in der Krise, was sich auch Ursula von der Leyen (CDU) verdanke, der Spitzenkandidatin für die bevorstehende Europawahl. Europa werde sich aber „auch und vor allem der Sicherheitspolitik und der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie“ widmen. Europa sei „eine Sache der Vernunft, aber auch eine der Leidenschaft“. Besonders in einer Zeit, „in der das normative Projekt des demokratischen Westens immer in Frage gestellt werde“. Insbesondere Deutschland und Frankreich müssten endlich wieder enger zusammenarbeiten, die Beziehungen seien auf einem Tiefpunkt. Merz sagte: „Wir werden die verlässliche Freundschaft mit Frankreich wiederherstellen und im Weimarer Dreieck zusammen mit Polen den Schulterschluss suchen“.
Die Folgen der Wahlniederlage
Die Union mache „Politik für freiheitlich und verantwortungsvoll Denkende und Handelnde in Deutschland“. Die Wahlniederlage 2021 sei schmerzhaft gewesen, die Partei habe auch Zeit gefunden, sich grundsätzlichen Fragen zu stellen, etwa nach den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Das Ergebnis sei ein Entwurf, der das Grundsatzprogramm von 2007 ablösen soll. Das Leitmotiv sei: „Gemeinsam Zukunft gewinnen.“
Die Antworten der CDU sollten die Partei unterscheidbar machen von anderen, die Union sei „zuversichtlich, zukunftsgewandt und selbstbewusst“. Die Freiheit sei so „so bedroht, wie schon lange nicht mehr“. Viele Menschen im Land hätten Angst vor inneren und äußeren Bedrohungen, Sorge um ihre soziale Sicherheit und den Wohlstand. Die CDU sage, so Merz: „Die Probleme sind lösbar. Und wir sagen es vor allem den jungen Menschen: Unser Land ist ein guter Platz für Euch“. Die Union wolle mit ihrem Grundsatzprogramm ein Versprechen der Zukunft geben.
Merz würdigte in seiner Rede die Erfolge der CDU bei Landtagswahlen, etwa in Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Hessen, insbesondere aber auch beim Kampf um Rathäuser in ganz Deutschland. Zudem hätten CDU und CSU „wieder zu einem vertrauensvollen Miteinander gefunden“. Die Zusammenarbeit mit Markus Söder sei „ein Modell“ des Miteinanders. Diese Gemeinsamkeit dürfe man „nie gefährden“.
Kritik an der Wahlrechtsreform der Ampel
Merz kritisierte die Wahlrechtsänderung der Ampel als Versuch, „diese erfolgreiche Fraktionsgemeinschaft zu zerstören“. Das, so Merz „lassen wir uns nicht gefallen“, deswegen sei man vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Die Grünen, die als Opposition am heftigsten gegen den Staat polemisiert hätten, träten nun am heftigsten dafür ein, „das der Staat bis in den kleinsten Lebensbereich hinein alles regelt und reguliert“. Dafür sei das Heizungsgesetz nur ein Beispiel gewesen. SPD und Grüne dächten kollektivistisch, die Union hingegen vom Individuum, vom einzelnen Menschen her. Es gelte aber auch, „der Staat, das sind wir alle gemeinsam“.
Wirtschafts-, Umwelt- und Klimapolitik gehörten zusammen, die Union habe das erste Umweltministerium der Bundesrepublik eingerichtet und sie habe eine Antwort auf den Klimawandel. Die CDU-Umweltpolitik setze auch Anreize und nicht – wie die Grünen – auf „Regulieren, Dirigieren, Bevormunden“, sondern auf gute Rahmenbedingungen und Ziele. Merz führte aus: „Deutschland ist auf der Welt inzwischen der klimapolitische Geisterfahrer und wir werden diese Geisterfahrt spätestens im nächsten Jahr beenden.“
Merz, der vor gut zwei Jahren im dritten Anlauf zum Parteivorsitzenden gewählt worden war, tritt zur Wiederwahl an. Die 1001 Delegierten des 36. Parteitags der CDU wählen im Berliner Estrel-Tagungszentrum zudem die Führungsgremien neu. Dann soll über das neue Grundsatzprogramm debattiert werden, das die Partei während der vergangenen beiden Jahre nach breiten Diskussionen und intensiver Gremienarbeit erarbeitet hat. Am dritten Tag des Treffens der konservativen Partei steht das Programm für die Europawahl auf der Tagesordnung. Merz sagte, die Partei wolle aus Berlin „ein kraftvolles Signal der Zuversicht senden“, die Union habe einen Plan, „die CDU geht voran“.
Am Dienstag soll der Vorsitzende der Schwesterpartei CSU, Markus Söder, zu den Delegierten sprechen. Söder gilt – neben dem Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst – als möglicher Konkurrent um die Kanzlerkandidatur der Union. Sowohl Söder als auch Wüst liegen in Umfragen vor Merz. Anderseits hat der CDU-Vorsitzende schon qua Amt eine besonders gute Ausgangsposition; entschieden werden soll im Herbst nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.
Merz war Anfang 2022 damals in einem digitalen und dann postalischen Verfahren mit 62,1 beziehungsweise 94,6 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt worden. Zuvor hatte er im Wettbewerb um die Nachfolge der langjährigen Vorsitzenden Angela Merkel zunächst 2018 gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und dann Anfang 2021 gegen Armin Laschet verloren. Nach dessen Niederlage bei der Bundestagswahl und nachfolgendem Amtsverzicht, was der Weg für den aus dem Sauerland stammenden Merz freigeworden.
Für seine Wiederwahl wurde allgemein mit einem guten Ergebnis gerechnet, zumal er diesmal keinen Gegenkandidaten hat. Ebenfalls zur Wahl stehen am Dienstag Generalsekretär Carsten Linnemann und die Vertreter der CDU-Führungsgremien. Linnemann hatte sein Amt seit Sommer 2023 kommissarisch ausgeübt, nachdem sich Merz vom bisherigen Generalsekretär Marion Czaja getrennt hatte. Zudem war Linnemann Vorsitzender der Kommission für das neue Grundsatzprogramm.
Merz würdigte zu Beginn des Parteitags die Lebensleistung des früheren Bundesministers in Kabinetten der Bundeskanzler Helmut Kohl und Angela Merkel und ehemaligen Bundestagpräsidenten Wolfgang Schäuble, der Weihnachten 2023 verstorben war.