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Eine deutsch-türkische Fußball-Geschichte: Coşkun Taş ist zufrieden

An der Ampel vor dem Bahnhof Longerich hält ein silbernes Auto, am Steuer ein alter Mann. Bekommt Grün, fährt auf den Bahnhofsvorplatz. Coşkun Taş winkt. Tür auf. Eingestiegen. Tür zu. Er fahre nicht mehr viel, sagt er. Das Auto, natürlich Ford, ist von 2016. Er guckt nach. 30.000 Kilometer. Trotzdem: Nicht jeder kann mit 89 Jahren noch fahren, oder? „Ja, 89“, antwortet Coşkun Taş und lacht das erste Mal sanft. „Ich bin nicht 89. Ich bin 90.“ Dies ist die Geschichte von Coşkun Taş.

Coşkun Taş, hier 1955
Coşkun Taş, hier 1955Picture Alliance

Coşkun Taş, geboren am 23. April 1934. Nicht: 1935, wie in den 13 verschiedensprachigen Wikipedia-Einträgen über ihn steht. Geboren in Aydın am Großen Mäander, südlich von İzmir. Kölner seit 1959. Das ist der Mann, der für den 1. FC Köln als Linksaußen stürmte und im Finale um die deutsche Meisterschaft 1960 nicht spielen durfte, weil er kein Deutscher war. War. Der Mann, dessen Fußball-Leben so reich ist, dass die Namen derer, mit denen und gegen die er spielte, deren Wege er kreuzte, diesen unwahrscheinlichen Reichtum beschreiben. Puskás und Di Stéfano, Kubala, die Walter-Brüder und Helmut Rahn, Seeler, Schnellinger, Lefter Kücükandonyadis und Hans Schäfer. Herberger, Schön, Weisweiler. Und viel später noch Hamit und Halil Altıntop und Philipp Lahm, der in diesen Wochen die EM organisiert.

Dabei war Fußball für Coşkun Taş immer nur Mittel zum Zweck. Als er keine Lust mehr hatte zu spielen, nachdem er beim Finale um die deutsche Meisterschaft 1960 an einem heißen Tag in Frankfurt zuschauen musste, weil er, der türkische Fußballgastarbeiter, nicht mitspielen durfte, hat er eine deutsche Karriere gemacht. Und hat erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Dies ist die Geschichte eines Mannes, der im 91. Lebensjahr von sich sagt: „Ich bin ein zufriedener Mensch jetzt.“

„Ich brauche dich. Aber du bist zu alt“

Aber erstmal zurück ins Auto und ins Jahr, in dem Coşkun Taş ein Jahr jünger wurde. Im Frühjahr 1953 steht in Belgien das wichtigste Jugendfußballturnier der Welt an: das Juniorenturnier der FIFA, des Internationalen Fußball-Verbands. Zum ersten Mal spielt die Türkei mit. „Ich brauche dich“, habe der Trainer gesagt. „Aber du bist zu alt.“

Taş lebt 1953 seit gut einem Jahr in Istanbul. Studiert und finanziert das Studium mit Fußball. 275 Lira, „ein kleines Beamtengehalt“, verdient der Linksaußen des Beşiktaş Jimnastik Kulübü. Taş ist schnell: „Elf Sekunden für hundert Meter, haben sie mal gemessen. Ob sie richtig gemessen haben, weiß ich nicht.“ Schnell, torgefährlich, Coşkun Taş ist der richtige Mann für so ein Turnier. Sie machen den richtigen Jugendlichen aus ihm. Sein Vater, der vierzig Jahre vorher ein Auge verloren hatte, weil ihm in Mülheim an der Ruhr an einer Werkbank ein Metallsplitter hineingeflogen war, der später zuhause in Aydın gemeinsam mit seiner deutschen Schwiegertochter deutsche Lieder singen wird, der während des Ramazan morgens zwei Seiten im Koran las und seinen Söhnen völlige Freiheit in Sachen Religion ließ, besorgt in Aydın das nötige Papier: Coşkun Taş, Geburtstag 23. April 1935.

Ab nach Belgien, Taş ist Kapitän. Sie schlagen Spanien, werden Dritte. Taş erinnert sich an die Herzlichkeit des spanischen Kapitäns, an ein gemeinsames Essen in Brüssel. „Die Spanier haben Wein getrunken und haben uns abgegeben. Unser Trainer hat weggeguckt.“

Erinnerungen: Eine Fahne von Beşiktaş Istanbul steht auf seinem Schreibtisch.
Erinnerungen: Eine Fahne von Beşiktaş Istanbul steht auf seinem Schreibtisch.Marcus Simaitis

Coşkun Taş parkt nach wenigen hundert Metern mitten in Longerich, schließt die Haustür auf, dann die Wohnungstür. Eigentum seit 30 Jahren, seit der Rente. „So viele Jahre hier, immer noch der Türke“, sagt er. Im Flur hängen kleine Bilder. Friedrich der Große und Königin Luise von Preußen. Im Wohnzimmer steht ein kleiner Geißbock des 1. FC Köln und auf dem Schreibtisch ein Beşiktaş-Fähnchen. Auf dem Laptop liegt der „Kölner Stadt-Anzeiger“, Sportteil, aktuelle Ausgabe. Überschrift: Die Wunde von Bern. WM 1954. Taş war nicht beim Endspiel, Wunde für die Ungarn, Wunder für die Deutschen. Aber bei der WM.

Coşkun Taş hat vier Länderspiele für die Männermannschaft der Türkei gespielt. Lefter Kücükandonyadis war besser. Andererseits: Lefter war Profi in Italien, der junge Coşkun ging studieren. Und: Unter den vier Spielen waren die Ausscheidungsspiele gegen Spanien vor der WM 1954. Taş spielte, als die Türken die Spanier schlugen in Istanbul, ein Entscheidungsmatch in Rom erzwangen. Auch das spielte Coşkun Taş: 2:2 nach Verlängerung. „Da haben sie einen Jungen geholt und ihm die Augen verbunden“, erzählt Taş. Franco Gemma, 14 Jahre alt. Es gibt ein Bild: Ein weißes Tuch um den Kopf geknotet, umringt von Fußballmännern in Fußballmänneranzügen, greift der Junge in ein Säckchen. Zieht ein Los. Beschenkt die Türkei. „Wir haben ihn dann eingeladen in die Schweiz, zur WM“, erzählt Coşkun Taş.

Die Türkei bei der WM, zum ersten Mal, mit ihm. „Als junger Mensch zur WM, ich war in der Höhe, ich war stolz auf mich. Die ganzen Aydıner Fußballfreunde waren stolz. Ich habe viele Briefe bekommen.“ Taş lacht sein sanftes Lachen. „Über Jugoslawien ging es nicht, das war kommunistisch. Also über Athen, Italien, weiter nach Genf.“

Die Türkei gegen den späteren Weltmeister Deutschland: 1954 ging es zur Sache auf dem Fußballplatz.
Die Türkei gegen den späteren Weltmeister Deutschland: 1954 ging es zur Sache auf dem Fußballplatz.Picture Alliance

In der Schweiz verliert die Türkei gegen Deutschland und gewinnt gegen Südkorea. Taş schaut zu. Also noch mal gegen die Deutschen, Entscheidungsspiel. „Es war ein komischer Modus damals“, sagt Taş in seinem Wohnzimmer, exakt 70 Jahre später. Zürich, Hardturm, 23. Juni 1954. Coşkun Taş spielt. Die Deutschen sind nicht zu bremsen. „Die waren richtig in Fahrt, schnell, kombinationsfähig, sie hatten bessere Spieler.“ Deutschland gewinnt, der Wochenschau-Ton ist gönnerhaft: „Wir sind ja gut befreundet mit den Türken, und so ganz grausam wollen wir nicht sein, Ende gut, alles gut, 7:2!“

„Zwei zu sieben, wie lange ist das her, mein Gott“, sagt Coşkun Taş. „Ich habe gegen Laband gespielt. Ich habe einen Ball bekommen, habe mir den vorgelegt. Habe Laband umspielt, dann kam einer von links, ich habe geschossen. Die Situation habe ich vor Augen, weil ich das so oft wiederholt habe. Sonst nichts. Ich bin 90 Jahre alt.“ Die Deutschen werden Weltmeister. Im Wankdorf-Stadion singen ihre Fans die Hymne. Erste Strophe. Mit dem Zug nach Hause, Deutschland im Fußball-Rausch. Sie sind wieder wer.

„120.000 Zuschauer, mein Gott, dieser Lärm“

Coşkun Taş studiert weiter in Istanbul, stürmt weiter für Beşiktaş. Gewinnt zwei Meistertitel. Tritt 1958 in Madrid an gegen Real, gegen Ferenc Puskás und Alfredo di Stéfano. „120.000 Zuschauer, mein Gott, dieser Lärm. Aber die haben erst Mitte der zweiten Halbzeit ein Tor gemacht. Unser Torwart hat alles gehalten. Puskás hat einen Volley gezogen, bumm! Unser Torwart hat wirklich mit der Brust gerettet, und dann noch mal . . . ich hab das direkt vor Augen.“

Coşkun Taş hält inne im Wohnzimmer, einen Zigarillo in der Hand, vor Augen das Estadio Santiago Bernabéu. Es gibt Neunjährige, die träumen von einem Spiel im Bernabéu, es gibt Neunzigjährige, die haben es gespielt. Ihre Blicke ähneln sich. „Das war ein sehr interessantes Spiel damals. Unter Flutlicht. Wir hatten in der Türkei noch nie unter Flutlicht gespielt.“

Elf Fußball-Reisen habe er durch Europa und nach Israel gemacht, wo Beşiktaş in Tel Aviv und in Haifa spielte. Elf Reisen, bevor er nach Köln kam. Nicht schlecht für einen, dem Fußball nur die Nadel auf dem Kompass, das Mittel zum Zweck ist. Und Coşkun Taş findet sich zurecht. Hat keine Angst vor neuen Orten, schon in Istanbul nicht. „Wir hatten einen Verwandten dort. Ich war da vorher schon. Ich wusste, wo ich war.“ Sein Vater hatte sich gemeldet, als das Deutsche Kaiserreich 1913 3000 junge Türken zur Ausbildung holte. Nach dem Unfall in Mülheim machen die Deutschen einen Bauzeichner aus ihm. Nach dem Ersten Weltkrieg zeichnete er, auf einem Auge blind, deutsche Lieder im Kopf, von Aydın aus für eine englische Firma. Sie baute Bahnhöfe.

Coşkun Taş will nach dem Studium ­Finanzinspektor werden. Voraussetzung: Fremdsprache. Der Fußball hilft. Taş kennt Halit Kıvanç, wie jeder maßgebliche Istanbuler Fußballspieler den Reporter Kıvanç kennt. Kıvanç kennt jemanden beim „Kicker“ in Köln, und der kennt Franz Kremer, den mächtigen Präsidenten des 1. FC Köln. Im Frühjahr 1959 geht ein Brief von Kremer in Köln zu Taş nach Istanbul. Der 1. FC Köln hat eine Vakanz: Linksaußen. Taş macht sich auf den Weg, mit dem Segen des Präsidenten von Beşiktaş, dem die Berufsausbildung seines Spielers wichtig ist. 500 D-Mark bekommt Taş, das Schiff bringt ihn nach Venedig, der Zug nach Köln.

„Nein, die wussten, was ich kann“

37 Mark sind übrig, als er am 6. Juni 1959, vor 65 Jahren, am Hauptbahnhof ankommt und eine Telefonzelle sucht. Als er eine findet, blättert Coşkun Taş im Telefonbuch, findet die Nummer des 1. FC Köln, wählt. Kremer nimmt ab, schickt Taş vor den Blumenladen gegenüber und seine Frau, Taş abzuholen. „Zum Rheinhotel haben sie mich gefahren, da habe ich fast einen Monat gewohnt. Ich habe den Vertrag unterschrieben, da war ich FC-Mitglied.“ Probetraining? „Nein, die wussten, was ich kann.“

Taş ist der erste türkische Vertragsspieler im deutschen Fußball. Die Saison beginnt. Taş stöhnt. Das Training von Oswald Pfau ist hart für ihn. Aber mit Hans Schäfer, Weltmeister 1954, klappt das Zusammenspiel. „Der fragte nach meinem Spitznamen. Ich sagte Co“, türkisch, mit Dschungel-Dsch, aber Schäfer bringt nur ein rheinisches Jo durch Zunge und Gaumen. „Er hat gesagt, wenn ich Jo-Jo rufe, gehst du.“ Co wird Jo-Jo. Als Halit Kivanc zu Besuch kommt, über Taş schreibt, wird das die Überschrift vom Text für seine türkischen Leser. Schäfer, der Lenker, Helmut Rahn, auch neu in Köln, Rechtsaußen, Taş links, Christian Müller in der Mitte, spielen stark. 30 Spiele, 85 Tore, der 1. FC Köln gewinnt die Oberliga West ungefährdet. Westdeutscher Meister.

Als aus Co Jo wird: Taş (links) mit Trainer Pfau und Helmut Rahn 1959
Als aus Co Jo wird: Taş (links) mit Trainer Pfau und Helmut Rahn 1959Imago

Die Meisterplakette von Coşkun Taş liegt in den EM-Tagen im Kölner Stadtmuseum, Teil der Ausstellung zum migrantischen Fußball in der Stadt. Die Oberliga damals kennt keinen migrantischen Fußball. Wenige Ausländer spielen in Deutschland. Taş fällt auf. Die Deutschen projizieren auf ihn, was sie zu wissen meinen. Karikaturisten setzen ihm einen Fez auf. Den hat Atatürk 1925 verboten. Taş ist Kemalist, in der Moschee war er „höchstens drei Mal im Leben“, aber die Karikaturen finde er heute noch lustig, sagt er: „Da bin ich nicht sensibel.“ Er hat sie eingeklebt in ein grünes Heft voller Berichte aus seinem Fußball-Leben.

Auch das „Geißbockecho“ stellt ihn vor: In der deutschen Sprache habe der „prächtige Kamerad“ inzwischen „beachtliche Fortschritte gemacht und (er) fühlt sich heute im Kreise der Kameraden schon sehr wohl, wenn auch die Umstellung von heimatlichen auf hiesige Verhältnisse gerade für ihn als Mohammedaner nicht gerade einfach gewesen sein dürfte“. Coşkun Taş lacht, nun ein bisschen lauter. Erzählt noch mal vom gläubigen Vater, der zu Ramazan im Koran las, vor allem aber seinen Kindern Freiheit in Sachen Religion ließ. In Aydın störte sich mal jemand daran. Die Brüder Taş wurden zum Hodscha geschickt. Das war nichts. Einmal und nie wieder. „Mohammed hat im 7. Jahrhundert gelebt“, sagt Coşkun Taş. „Wir leben im 20. Jahrhundert, und nun im 21.“

„Dieses Gefühl, da habe ich gesagt: Schluss“

Meisterschaftsendrunde 1960, sechs Spiele. Coşkun Taş spielt alle sechs, schießt drei Tore für den 1. FC Köln. Finale. Um die deutsche Fußball-Meisterschaft geht es am 25. Juni 1960 im Frankfurter Waldstadion gegen Uwe Seelers HSV. Coşkun Taş war eben noch „prächtiger Kamerad“. Jetzt ist er Ausländer. Er darf nicht spielen. Vor dem Endspiel sitzen Präsident Kremer, Kapitän Schäfer, Fußball-Obmann Neubauer und Trainer Pfau zusammen. „Oswald Pfau hat mir hinterher gesagt: ‚Herr Taş, ich habe alles versucht. Ich hatte keine Chance.‘“

Coşkun Taş hat die Geschichte schon häufig erzählt. Er erklärt sie sich so: Im Vorjahr, 1959, schoss Istvan Sztáni zwei Tore für Eintracht Frankfurt. Mancher schrieb, wenn ein Ungar, ein Ausländer, zwei Tore für den Sieger schieße, sei der gar kein deutscher Meister. Die Kölner verlieren das Finale 1960 2:3. An diesem Tag, nach dieser Zurücksetzung hat Coşkun Taş genug vom Fußballspielen. „Dieses Gefühl, da habe ich gesagt: Schluss. Da habe ich aufgehört.“ Er macht den Trainerschein an der Sporthochschule bei Hennes Weisweiler und Helmut Schön. Noch denkt er: Wäre doch was, Trainer in der Türkei.

Auch Kölns Maskottchen Hennes hat seinen Platz.
Auch Kölns Maskottchen Hennes hat seinen Platz.Marcus Simaitis

Aber zum Leben gehört die Liebe, und die Liebe spricht Kölsch. „Es gibt Ehrenfelder Kölsch, Kalker Kölsch – sie sprach klares Kölsch“, sagt Coşkun Taş in Longerich. Er heiratet, wird Vater. Nun gibt es kein Zurück, kein „Hin und Her“. Jetzt ist Zeit für die Karriere. Als die Ford-Werke einen Trainer suchen für die Betriebsmannschaft in der Bezirksliga, ist das der Fuß in der Tür. So kommt er zu Ford. „Als ich dort anfing, wurde ich als Fußballspieler akzeptiert“, sagt Coşkun Taş, „aber nicht als Türke.“ Der Fußball, sagt er, habe ihn geschützt. „Ich hatte eine ganz andere Stellung in der Gesellschaft.“

Angefeindet wird er jedenfalls nicht bei Ford, beneidet schon. Als nach dem Anwerbeabkommen in den Siebzigern 8000 Türken im Werk arbeiten, betont Coşkun Taş seine Stellung im Büro, als Systemanalyst. „Ich bin was geworden durch meinen Fleiß, ich habe Programme geschrieben im Computerwesen.“ Als er in Rente geht, 1993, ist er Verkaufsplanungschef. „Da habe ich sehr gut Geld verdient, das muss ich sagen. Ich habe eine gute Ford-Rente. Überstunden wurden ausbezahlt. Und ich habe sehr viel gearbeitet.“

So viel, dass sein Sohn einen türkischen Vornamen bekommt, aber kein Türkisch lernt. „Wie auch?“, fragt Coşkun Taş. „Ich habe bis halb fünf gearbeitet, dann bin ich zum Training.“ Er versucht es noch als Trainer, nebenher, in Lindlar, bei Viktoria Köln, bis in die Siebziger. „Als Güner geboren wurde, kam ich nach Hause, da war er im Bett, ich habe ihm einen Kuss gegeben. Am nächsten Tag bin ich arbeiten gegangen.“ So war das. Hat der Sohn sich nie beschwert, dass er vom Vater kein Türkisch lernte? „Nie“, sagt er. Heute ist Coşkun Taş stolz auf ihn, stolz auf seine Enkel. Die Enkeltochter wird Juristin, der Enkelsohn ist, Apfel vom Stamm des Urgroßvaters, der deutsche Lieder sang und türkische Bahnhöfe zeichnete in Aydın, Bauingenieur in Aachen.

„Die freuen sich jedes Mal, wenn ich dabei bin“

Irgendwann wird Coşkun Taş auch Deutscher. Er sitzt fast 20 Jahre lang in der Spruchkammer des Schiedsgerichts des Fußballkreises Köln. Zweiter Vorsitzender. Schreibt den Kollegen in den Neunzigern ein Computerprogramm, das die Fußballbürokratie immens erleichtert. Der Verband Mittelrhein übernimmt es. 30.000 Mark bekommt Taş für diese Modernisierung des deutschen Amateurfußballs. Wenn türkische Nationalmannschaften zu Besuch kommen, 1971 zur EM-Qualifikation, und als die U 21 mit den Altıntops 2003 gegen die Deutschen um Philipp Lahm spielen, hilft Taş dem DFB: Ansprechpartner, Übersetzer. Der türkische Verband meldet sich nie.

Manchmal geht er zum Beşiktaş- Unterstützerverein in Porz, den Freunde gegründet haben. Taş ist Ehrenmitglied. „Die freuen sich jedes Mal, wenn ich dabei bin.“ In der Traditionsmannschaft des 1. FC Köln hat er jahrelang gespielt, auch gegen Horst Eckel in Kaiserslautern. „Hinterher haben wir schön zusammengesessen und getrunken.“ Da ist wieder das sanfte Lachen, beim Gedanken an Horst Eckel, den Taş zuerst in Zürich traf. Vor 70 Jahren.

Coşkun Taş schätzt Bildung. Jeden Tag schaue er Nachrichten, das interessiert ihn, deutsche Politik, türkische. Sozialdemokrat sei er, und Kemalist. Von Helmut Schmidt hielt er viel, von Recep Tayyip Erdoğan hält er gar nichts. Und die AfD? „Schlimm. Schlimm. Schlimm ist es. Schlimm. Bis hierher war es so schön. Und jetzt? Was wollen die Menschen denn? Die haben es doch zweimal erlebt, was dahintersteckt. Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg. Jetzt ist Deutschland auf der ganzen Welt anerkannt. Was wollen die denn noch? Was wollen die denn?“

Dass İlkay Gündoğan nun Kapitän der deutschen Nationalmannschaft ist, dass er Kapitän bei Manchester City war, „dass der sich das erkämpft hat“, das freut Taş. Schon, weil Gündoğan anders als Mesut Özil mit dem Erdoğan-Bild und der Aufregung darum umging. Mit Özil ist es wie mit Erdoğan, da braucht Coşkun Taş niemand mehr kommen. Aber weil Taş sich über Fußball freut, wenn die Taktik mathematisch wird, gefällt ihm auch, wie ­Julian Nagelsmann Gündoğan mit Toni Kroos spielen lässt: „Einer lenkt von hinten, einer lenkt von ein bisschen weiter vorn.“ Coşkun Taş schaut EM.

Als seine Frau 2018 starb, sagt Coşkun Taş, im Ferienhaus bei Aydın, sei er in die Tiefe gestürzt. „Alleinsein ist schlimm, sehr schlimm.“ Aber das Leben hatte auch da noch eine Wendung. Seit ein paar Jahren begleitet ihn Margret, 84. Neulich waren sie zusammen im Urlaub. „Ich wollte ihr Istanbul zeigen. Zehn Tage waren wir da.“ Wie es war? „Margret, sag doch was“, sagt Coşkun Taş. „Sehr schön war es“, sagt Margret. „Ich war das erste Mal in der Türkei.“

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