Klimaschutz als Wirtschaftsmotor? Das „grüne Jobwunder“ bleibt aus
Die Nachricht kam für die Mitarbeiter des Volkswagen -Werks im sächsischen Zwickau nicht überraschend. Ein Stimmungsdämpfer war sie dennoch. Schon in den vergangenen Monaten hatte der Autohersteller zahlreiche befristete Verträge auslaufen lassen. Nun zeichnet sich ab: Auch diejenigen, deren Verträge noch bis 2025 laufen, können nicht mehr auf eine Verlängerung hoffen. Von 1000 bis 1200 Mitarbeitern ist die Rede. Die Entscheidung soll im August fallen. Ein Unternehmenssprecher verweist auf die geringe Nachfrage nach Elektroautos. Statt 360.000 Fahrzeugen seien im vergangenen Jahr nur 240.000 vom Band gelaufen. „Uns ist es wichtig, den betreffenden Mitarbeitern Planungssicherheit zu geben.“
Auch in anderen Wirtschaftszweigen, die Politiker gerne als Zukunftsbranchen bewerben, ist die Stimmung schlecht. Der Heizungshersteller Viessmann hat für Juli und August Kurzarbeit für seinen Stammsitz im hessischen Allendorf angemeldet. Nicht alle der 4500 Mitarbeiter sind betroffen, aber wohl rund 1200. Auch hier verweist man auf die schwierige Marktsituation. Nach dem politischen Tauziehen um das Gebäudeenergiegesetz und dem Ansturm auf neue Gasheizungen im vergangenen Jahr warten viele Hauseigentümer erstmal ab.
Der Absatz der von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) favorisierten Wärmepumpe brach im ersten Quartal um mehr als 50 Prozent auf 46.000 Geräte ein. Die politische Zielmarke lautet weiter 500.000 Wärmepumpen im Jahr. Auch Konkurrent Stiebel Eltron macht Kurzarbeit; Vaillant baut mehrere Hundert Stellen ab.
Grüne warben mit „Klima schützen, Wirtschaft stärken“
Das alles passt so gar nicht zu den Worten des Kanzlers, der Deutschland „wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz“ Wachstumsraten wie in den 1950er- und 1960er-Jahren in Aussicht gestellt hat. Die Nachrichtenlage passt auch nicht zu den Plakaten der Grünen im Europawahlkampf: „Klima schützen. Wirtschaft stärken“ war dort zu lesen. Die Transformation wirkt aktuell nicht wie ein Wachstums- und Jobwunder, sondern eher wie ein Jobkiller. Was zu der Frage führt, wann und wie sich das wieder ändern könnte.
„Offenbar gab es bei vielen Herstellern eine Fehleinschätzung zur Nachfrage“, sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter Ifo-Instituts in Dresden. „Da wurden Überkapazitäten aufgebaut.“ Ob es sich nur um eine Delle oder um ein längerfristiges Problem handelt, ist aus seiner Sicht noch nicht entschieden. Zu viele Einflussfaktoren spielen hinein. Die staatlichen Kaufprämien für Elektroautos wurden Ende vergangenen Jahres abrupt gestrichen und werden mutmaßlich nicht wiederkommen. Das Gebäudeenergiegesetz wurde zwar entschärft, von 2026 an sollen aber nach und nach die strengeren Regeln für neue Heizungen greifen. Und dann ist da noch die Frage, ob es beim Zulassungsverbot für neue Autos mit Verbrennungsmotor 2035 bleibt oder ob die EU-Kommission dies aufweicht.
Fragt man die Unternehmen nach den langfristigen Aussichten, fallen die Antworten wenig überraschend optimistisch aus. Ein Viessmann-Sprecher sieht nur „kurzfristig etwas Gegenwind“. Langfristige biete der Trend hin zur Elektrifizierung und Nachhaltigkeit „eine noch nie da gewesene Chance“. Der Sprecher von VW Sachsen mahnt ein konsequenteres politisches Vorgehen an, nicht nur in Berlin, sondern auch in der Zusammenarbeit mit den Kommunen etwa beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. „Die Politik muss langfristig verlässliche und klare Rahmenbedingungen setzen, damit Investitionen abgesichert werden können“, sagt er. „Eine konsequent an den Klimaschutzzielen von Paris 2050 abgeleitete Wirtschaftspolitik ist gesellschaftlich sicher mehrheitsfähig und wäre ein Anfang.“
Standortkosten zu hoch, Produktivität zu gering
Ökonom Ragnitz gibt jedoch zu bedenken: „Selbst wenn die Nachfrage nach grünen Produkten wieder anzieht: Es ist nicht gesagt, dass diese dann aus deutscher Produktion kommen. Die Standortkosten sind zu hoch, die Produktivität der Betriebe ist zu gering.“ Er sieht einen Trend, dass Unternehmen verstärkt in Ländern investieren, in denen die Produktionskosten niedriger sind. Viessmann kündigte schon 2022 an, 200 Millionen Euro in ein Wärmepumpenwerk in Polen zu investieren. Der chinesische Elektroautohersteller BYD will 2027 in Ungarn ein Werk eröffnen, der weniger bekannte Konkurrent Chery investiert in Spanien. „Es könnte gut sein, dass die Nachfrage nach grünen Produkten künftig vor allem aus Importen gedeckt wird“, sagt Ragnitz.
Im Bundeswirtschaftsministerium beobachtet man derlei Investitionsankündigungen mit Sorge. Habeck würde gerne neben den schon erteilten Förderzusagen für Batterie- und Chipfabriken auch Hersteller von Solarmodulen in Deutschland finanziell unterstützen. Angesichts der angespannten Haushaltslage wurde daraus bislang aber nichts. Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, sieht angesichts der aktuellen Nachrichten zu Stellenstreichungen und Kurzarbeit erhöhten Handlungsbedarf: „Damit die Wirtschaft läuft und gut bezahlte Arbeitsplätze erhalten und geschaffen werden, müssen wir investieren, in neue Klimatechnologien, in Infrastruktur, in Forschung und Entwicklung“, sagt er. „Das muss der künftige Haushalt abbilden.“ Beim Bürokratieabbau und der Fachkräftegewinnung hat die Ampelkoalition aus seiner Sicht schon Fortschritte gemacht. „Wir arbeiten an mehr davon.“
Ifo-Forscher Ragnitz hält wenig davon, mit immer mehr Subventionen die Produktion in Deutschland zu stützen. „Die Produkte müssen durch ihre Technik und wettbewerbsfähige Preise überzeugen“, sagt er. Die Politik solle sich darauf konzentrieren, Innovationen zu fördern. „Und sie sollte den Menschen klar machen: Unser Wohlstandsniveau hängt von Leistungsbereitschaft ab“, fügt Ragnitz noch hinzu. „Die Rente mit 63 war ein Fehler, und eine Vier-Tage-Woche ist erst recht nicht drin.“
Jürgen Matthes, Leiter Internationale Märkte am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, geht noch einen Schritt weiter. „Dass die Zukunft allein in den Erneuerbaren liegt, ist eine Illusion“, sagt er. „Vielleicht sollten wir doch den Verbrennungsmotor noch hier halten, wie bisher immer weiterentwickeln und dann schauen, wo die Reise weltweit hingeht.“
In vielen Regionen der Welt würden wahrscheinlich noch lange Verbrennerautos gefahren, prognostiziert er. „Wenn wir in Europa dafür aber keinen Absatzmarkt mehr haben, wird die Produktion dorthin abwandern, wo die Kunden sind. Das sollten wir verhindern.“