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Was vom Bürgergeld übrig bleibt: Eine Bestandsaufnahme

Wie viele Menscheln leben derzeit von Bürgergeld, und wie haben sich die Zahlen entwickelt?

Insgesamt 5,6 Millionen Personen zählen derzeit als Leistungsberechtigte der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die seit 2023 „Bürgergeld“ heißt. 4,01 Millionen Personen werden von den Jobcentern als erwerbsfähige Leistungsberechtigte geführt, können also grundsätzlich arbeiten. Vergleicht man die aktuellen Zahlen mit denen von vor fünf Jahren, dann haben sie sich erstaunlich wenig verändert. Im letzten Jahr vor der Corona-Pandemie wies die amtliche Statistik insgesamt 5,66 Millionen Leistungsberechtigte und vier Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte aus.

Welche Rolle spielt der Faktor Migration im Bürgergeld?

Der Anteil der Leistungsbezieher ausländischer Herkunft ist mit den Flucht- und Migrationsbewegungen der vergangenen Jahre stark gestiegen. Das überlagert einen deutlichen Rückgang der Zahl deutscher Bezieher: Von den vier Millionen erwerbsfähigen Beziehern sind heute 2,1 Millionen Deutsche und 1,9 Millionen Ausländer. Vor fünf Jahren waren es gut 2,5 Millionen Deutsche und knapp 1,5 Millionen Ausländer. Vor zehn Jahren führte diese Statistik sogar 3,2 Millionen Deutsche und nur eine Million Ausländer. Dies hat auch die Aufgaben der Grundsicherung und der Jobcenter verändert: Früher ging es ganz überwiegend um Arbeitsmarktintegration einheimischer Lang­zeit­ar­beitsloser, heute wenden die Jobcenter einen Großteil ihrer Ressourcen zur Integration von Neuankömmlingen auf.

Die offizielle Arbeitslosenzahl liegt bei 2,7 Millionen. Warum gibt es trotzdem so viel mehr Bürgergeldbezieher?

Unter den 5,6 Millionen Regelleistungsberechtigten sind 1,6 Millionen Kinder und Jugendliche unter 15, sie zählen als nicht erwerbsfähig. Die vier Millionen Erwerbsfähigen teilen sich etwa so auf: 1,75 Millionen zählen nach amtlicher Definition als arbeitslos (die anderen Ar­beitslosen sind nicht im Bürgergeld). Weitere 800.000 Bürgergeldbezieher sind erwerbstätig, verdienen aber zu wenig für den Unterhalt des ganzen Haushalts; mehr als die Hälfte dieser Aufstocker haben nur Minijobs oder Teilzeitjobs. Insgesamt 500.000 Erwerbsfähige zählen nicht als arbeitslos, weil sie in Fördermaßnahmen oder -jobs sind; die Gruppe überschneidet sich teils mit den Aufstockern. Weitere gut 350.000 stehen durch Schule, Ausbildung oder Studium nicht für Arbeit zur Verfügung. Und noch einmal gut eine halbe Million Erwerbsfähige gelten als zeitweilig arbeitsunfähig oder sind deshalb außen vor, da sie Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu betreuen haben. 100.000 Erwerbsfähige im Bürgergeld müssen deshalb nicht arbeiten, weil sie schon dicht an der Rente sind.

Wie viele Bürgergeldbezieher gelten als Arbeitsverweigerer?

Das ist schwer zu sagen. Zöge man dafür die Zahl der Sanktionen heran, die Jobcenter wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten verhängen, wäre die Zahl der Verweigerer in den vergangenen Jahren stark gesunken. Tatsächlich liegt das aber daran, dass der Gesetzgeber Sanktionen eingeschränkt hat. Von Mitte 2022 bis zur Bürgergeldreform 2023 hatte die Ampelkoalition sogar ein „Sanktionsmoratorium“ festgesetzt. Vor der Corona-Pandemie stellten die Jobcenter jeden Monat in rund 80.000 Fällen Verstöße fest, die sie mit Leistungsminderungen ahndeten. Im Herbst 2022 sank diese Zahl fast auf null. Inzwischen ist sie wieder auf 29.000 gestiegen. Der Anteil der Ausländer an den von Jobcentern festgestellten Pflichtverletzern ist aber – heute wie vor der Pandemie – kleiner als ihr Anteil an der Gesamtzahl der Bürgergeldbezieher.

Welche Belege gibt es für die These, dass die Reform von Hartz IV zum Bürgergeld die Arbeitsbereitschaft der Menschen verringert habe?

Die Gesamtzahl erwerbsfähiger Bezieher ist seit der Reform wieder gestiegen – nach einem Rückgang auf 3,8 Millionen bis Herbst 2022 erhöhte sie sich auf die schon genannten 4,01 Millionen. Das klärt aber noch nicht die Gründe, denn auch die schlechte Wirtschaftslage und weitere Migration haben den Anstieg begünstigt. Tatsächlich stieg die Zahl ausländischer Bezieher seit Herbst 2022 um gut 200.000, was sich vor allem durch Flüchtlinge aus der Ukraine erklärt. Ursachenforschung leistet aber eine Studie des Forschers Enzo Weber vom Institut für Ar­beitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. Er hat die anderen Effekte rechnerisch herausgefiltert und festgestellt: Die Bürgergeldreform habe die Zahl der Grundsicherungsbezieher, die im Laufe eines Monats neu in Arbeit einsteigen, um knapp 6 Prozent gesenkt.

Was hat sich denn mit der Reform von Hartz IV hin zum Bürgergeld geändert?

Vor allem wurden die Jobcenter zu einem „kooperativeren“ Umgang mit Arbeitslosen angehalten. Das Leitbild sollte sein: weniger Druck, mehr Augenhöhe. Dazu zählte die Abschaffung des sogenannten Vermittlungsvorrangs; anstatt Arbeitslose auf die nächste Helferstelle zu vermitteln, sollten sie eher qualifiziert und damit auf langfristig bessere Jobs vorbereitet werden. Das „Sanktionsmoratorium“ lief zwar aus, aber die neu gefassten Sanktionsregeln fielen milder aus als davor. Auch wurde eine Sonderklausel aus der Corona-Zeit dauerhaft festgeschrieben: Wer mehrere Zehntausend Euro Vermögen hat, muss diese nicht erst aufbrauchen, bevor er Bürgergeld erhält.

Und was war mit den Geldleistungen?

Unter dem Eindruck der starken Inflation im Jahr 2022 hat die Ampelkoalition auch die Berechnung der jährlichen Regelsatzanpassungen geändert, vor allem mit dem Ziel, plötzliche Teuerungsschübe schneller zu berücksichtigen. Das Ergebnis der neuen Formel war eine Anhebung der Regelsätze um jeweils 12 Prozent Anfang 2023 und 2024. Vor der Reform bekamen alleinlebende Erwachsene neben den Wohn- und Heizkosten 449 Euro im Monat, heute sind es 563 Euro.

Simmt es, dass die Ampelregierung eine Nullrunde für die monatliche Geldleistung plant, weil ihr die letzten Erhöhungen doch zu stark waren?

Ja und nein. Tatsächlich rechnet die Regierung damit, dass es zum 1. Januar 2025 gar keine Erhöhung geben wird. Das ist aber keine neue Entscheidung, sondern das voraussichtliche Ergebnis der 2022 beschlossenen neuen Formel. Sie besagt: Fällt die tatsächliche Teuerung geringer aus, als bei der Erhöhung zu Jahresbeginn unterstellt wurde, ist dieses „Zuviel“ in der nächsten Runde zu verrechnen. Nach der jüngsten 12-Prozent-Erhöhung dürfte dieser Korrekturbedarf so groß sein, dass von der sich andernfalls ergebenden Erhöhung zum 1. Januar 2025 nichts übrig bleibt.

Lohnt es sich für Bürgergeldbezieher rein finanziell, eine Arbeit aufzunehmen?

Im Prinzip schon, allerdings in vielen Fällen nicht sehr stark. Denn wer eigenen Ar­beitslohn erzielt, muss ihn sich großenteils mit dem Bürgergeld verrechnen lassen. Da Monatsverdienste unter 1200 Euro aber zu Abzügen von weniger als 100 Prozent vom Bürgergeld führen, gilt zumindest formal: Wer arbeitet, hat (etwas) mehr Geld als derjenige, der nicht arbeitet. Ebenso richtig ist: Rein rechnerisch bringt eine Stunde Arbeit in solchen Fällen oft nicht mehr als 2,50 Euro zusätzliches Nettoeinkommen. Anders ist es natürlich in Fällen von Schwarzarbeit: Der Verdienst bleibt im Zweifel nicht nur (illegal) steuer- und abgabenfrei. Erfährt das Jobcenter nichts davon, kann es ihn auch nicht aufs Bürgergeld anrechnen.

Nun will die Regierung das Bürgergeld in Teilen korrigieren. Was hat sie vor?

Von insgesamt 49 Punkten, die Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) am 4. Juli als „Wachstumsinitiative“ verabredet haben, betrifft ein halbes Dutzend das Bürgergeld. Darunter: strengere Anforderungen bei der Arbeitssuche, härtere Sanktionen, engere Grenzen fürs sogenannte Schonvermögen und eine neue Prämie für langzeitarbeitslose Bürgergeldbezieher, die existenzsichernde Arbeit aufnehmen.

Wie sollen die Anforderungen an die Arbeitssuche verschärft werden?

Ist eine Vollzeitarbeit in einem anderen Ort verfügbar, die sich mit bis zu drei Stunden täglicher Pendelzeit erreichen lässt, können Bürgergeldbezieher diese künftig nicht mehr als unzumutbar ablehnen. Zudem sollen diejenigen, die kurzfristig Arbeit aufnehmen könnten, künftig mindestens einmal im Monat persönlich im Jobcenter vorsprechen. Überdies will die Regierung das Instrument der Ein-Euro-Jobs, gemeinnütziger Arbeitsgelegenheiten, wiederbeleben. Vor allem wenn der Verdacht besteht, dass Bürgergeldbezieher sich nicht richtig bemühen, eine angebotene Stelle wirklich zu bekommen, sollen die Jobcenter sie hilfsweise zu solchen Tätigkeiten einteilen.

Was soll sich an den Sanktionen ändern?

Wenn Bürgergeldbezieher die Aufnahme von Arbeit oder Förderkursen verweigern, soll ihnen die Regelleistung künftig zügig und „einheitlich“ um 30 Prozent für drei Monate gekürzt werden, so die Pläne. Und wer grundlos einen Termin im Jobcenter versäumt, soll künftig auch mit 30 Prozent Kürzung rechnen müssen. Anstelle der bisher oft starren gesetzlichen Sanktionsdauern soll dabei gelten, dass sich die Kürzung durch Erscheinen rasch wieder beenden lässt.

Wie soll sich Arbeit stärker lohnen?

Die im Ampelkoalitionsvertrag eigentlich vereinbarte große Reform hin zu einem leistungsfreundlicheren Sozialstaat wird wohl nicht mehr kommen. Aber eine Neuerung im Bürgergeld ist nun geplant: Wer als Langzeitarbeitsloser den Einstieg in eine existenzsichernde Arbeit schafft, soll künftig vom Jobcenter mit einer Prämie belohnt werden. Demgegenüber will die Regierung Schwarzarbeit stärker bekämpfen, damit sich reguläre Arbeit stärker lohnt.

Was ist mit dem Schonvermögen?

Bisher gilt hier eine einjährige Karenzzeit: Wer mehr auf der hohen Kante hat, als eigentlich mit dem Bezug sozialstaatlicher Grundsicherung vereinbar ist, muss für seinen Unterhalt auch eigenes Vermögen liquidieren. Ist nach der Karenzzeit immer noch „erhebliches“ Vermögen da, entfällt der Bürgergeldanspruch. Nun soll die Frist auf sechs Monate halbiert werden.

Und wann kommt die Reform der Bürgergeldreform?

Bisher sind es Beschlüsse der Regierungsspitzen, es gibt noch keinen Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Da die Änderungen auch den Bundeshaushalt 2025 entlasten sollen, müssten sie zügig beschlossen werden. Ob die Ampelfraktionen im Bundestag das mitmachen, ist aber offen. Bei SPD und Grünen formiert sich jetzt schon Widerstand. Ein Politiker der Linken warf den Befürwortern einer solchen Reform in dieser Woche sogar „Volksverhetzung“ vor.

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Wie viele Menscheln leben derzeit von Bürgergeld, und wie haben sich die Zahlen entwickelt?

Insgesamt 5,6 Millionen Personen zählen derzeit als Leistungsberechtigte der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die seit 2023 „Bürgergeld“ heißt. 4,01 Millionen Personen werden von den Jobcentern als erwerbsfähige Leistungsberechtigte geführt, können also grundsätzlich arbeiten. Vergleicht man die aktuellen Zahlen mit denen von vor fünf Jahren, dann haben sie sich erstaunlich wenig verändert. Im letzten Jahr vor der Corona-Pandemie wies die amtliche Statistik insgesamt 5,66 Millionen Leistungsberechtigte und vier Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte aus.

Welche Rolle spielt der Faktor Migration im Bürgergeld?

Der Anteil der Leistungsbezieher ausländischer Herkunft ist mit den Flucht- und Migrationsbewegungen der vergangenen Jahre stark gestiegen. Das überlagert einen deutlichen Rückgang der Zahl deutscher Bezieher: Von den vier Millionen erwerbsfähigen Beziehern sind heute 2,1 Millionen Deutsche und 1,9 Millionen Ausländer. Vor fünf Jahren waren es gut 2,5 Millionen Deutsche und knapp 1,5 Millionen Ausländer. Vor zehn Jahren führte diese Statistik sogar 3,2 Millionen Deutsche und nur eine Million Ausländer. Dies hat auch die Aufgaben der Grundsicherung und der Jobcenter verändert: Früher ging es ganz überwiegend um Arbeitsmarktintegration einheimischer Lang­zeit­ar­beitsloser, heute wenden die Jobcenter einen Großteil ihrer Ressourcen zur Integration von Neuankömmlingen auf.

Die offizielle Arbeitslosenzahl liegt bei 2,7 Millionen. Warum gibt es trotzdem so viel mehr Bürgergeldbezieher?

Unter den 5,6 Millionen Regelleistungsberechtigten sind 1,6 Millionen Kinder und Jugendliche unter 15, sie zählen als nicht erwerbsfähig. Die vier Millionen Erwerbsfähigen teilen sich etwa so auf: 1,75 Millionen zählen nach amtlicher Definition als arbeitslos (die anderen Ar­beitslosen sind nicht im Bürgergeld). Weitere 800.000 Bürgergeldbezieher sind erwerbstätig, verdienen aber zu wenig für den Unterhalt des ganzen Haushalts; mehr als die Hälfte dieser Aufstocker haben nur Minijobs oder Teilzeitjobs. Insgesamt 500.000 Erwerbsfähige zählen nicht als arbeitslos, weil sie in Fördermaßnahmen oder -jobs sind; die Gruppe überschneidet sich teils mit den Aufstockern. Weitere gut 350.000 stehen durch Schule, Ausbildung oder Studium nicht für Arbeit zur Verfügung. Und noch einmal gut eine halbe Million Erwerbsfähige gelten als zeitweilig arbeitsunfähig oder sind deshalb außen vor, da sie Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu betreuen haben. 100.000 Erwerbsfähige im Bürgergeld müssen deshalb nicht arbeiten, weil sie schon dicht an der Rente sind.

Wie viele Bürgergeldbezieher gelten als Arbeitsverweigerer?

Das ist schwer zu sagen. Zöge man dafür die Zahl der Sanktionen heran, die Jobcenter wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten verhängen, wäre die Zahl der Verweigerer in den vergangenen Jahren stark gesunken. Tatsächlich liegt das aber daran, dass der Gesetzgeber Sanktionen eingeschränkt hat. Von Mitte 2022 bis zur Bürgergeldreform 2023 hatte die Ampelkoalition sogar ein „Sanktionsmoratorium“ festgesetzt. Vor der Corona-Pandemie stellten die Jobcenter jeden Monat in rund 80.000 Fällen Verstöße fest, die sie mit Leistungsminderungen ahndeten. Im Herbst 2022 sank diese Zahl fast auf null. Inzwischen ist sie wieder auf 29.000 gestiegen. Der Anteil der Ausländer an den von Jobcentern festgestellten Pflichtverletzern ist aber – heute wie vor der Pandemie – kleiner als ihr Anteil an der Gesamtzahl der Bürgergeldbezieher.

Welche Belege gibt es für die These, dass die Reform von Hartz IV zum Bürgergeld die Arbeitsbereitschaft der Menschen verringert habe?

Die Gesamtzahl erwerbsfähiger Bezieher ist seit der Reform wieder gestiegen – nach einem Rückgang auf 3,8 Millionen bis Herbst 2022 erhöhte sie sich auf die schon genannten 4,01 Millionen. Das klärt aber noch nicht die Gründe, denn auch die schlechte Wirtschaftslage und weitere Migration haben den Anstieg begünstigt. Tatsächlich stieg die Zahl ausländischer Bezieher seit Herbst 2022 um gut 200.000, was sich vor allem durch Flüchtlinge aus der Ukraine erklärt. Ursachenforschung leistet aber eine Studie des Forschers Enzo Weber vom Institut für Ar­beitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. Er hat die anderen Effekte rechnerisch herausgefiltert und festgestellt: Die Bürgergeldreform habe die Zahl der Grundsicherungsbezieher, die im Laufe eines Monats neu in Arbeit einsteigen, um knapp 6 Prozent gesenkt.

Was hat sich denn mit der Reform von Hartz IV hin zum Bürgergeld geändert?

Vor allem wurden die Jobcenter zu einem „kooperativeren“ Umgang mit Arbeitslosen angehalten. Das Leitbild sollte sein: weniger Druck, mehr Augenhöhe. Dazu zählte die Abschaffung des sogenannten Vermittlungsvorrangs; anstatt Arbeitslose auf die nächste Helferstelle zu vermitteln, sollten sie eher qualifiziert und damit auf langfristig bessere Jobs vorbereitet werden. Das „Sanktionsmoratorium“ lief zwar aus, aber die neu gefassten Sanktionsregeln fielen milder aus als davor. Auch wurde eine Sonderklausel aus der Corona-Zeit dauerhaft festgeschrieben: Wer mehrere Zehntausend Euro Vermögen hat, muss diese nicht erst aufbrauchen, bevor er Bürgergeld erhält.

Und was war mit den Geldleistungen?

Unter dem Eindruck der starken Inflation im Jahr 2022 hat die Ampelkoalition auch die Berechnung der jährlichen Regelsatzanpassungen geändert, vor allem mit dem Ziel, plötzliche Teuerungsschübe schneller zu berücksichtigen. Das Ergebnis der neuen Formel war eine Anhebung der Regelsätze um jeweils 12 Prozent Anfang 2023 und 2024. Vor der Reform bekamen alleinlebende Erwachsene neben den Wohn- und Heizkosten 449 Euro im Monat, heute sind es 563 Euro.

Simmt es, dass die Ampelregierung eine Nullrunde für die monatliche Geldleistung plant, weil ihr die letzten Erhöhungen doch zu stark waren?

Ja und nein. Tatsächlich rechnet die Regierung damit, dass es zum 1. Januar 2025 gar keine Erhöhung geben wird. Das ist aber keine neue Entscheidung, sondern das voraussichtliche Ergebnis der 2022 beschlossenen neuen Formel. Sie besagt: Fällt die tatsächliche Teuerung geringer aus, als bei der Erhöhung zu Jahresbeginn unterstellt wurde, ist dieses „Zuviel“ in der nächsten Runde zu verrechnen. Nach der jüngsten 12-Prozent-Erhöhung dürfte dieser Korrekturbedarf so groß sein, dass von der sich andernfalls ergebenden Erhöhung zum 1. Januar 2025 nichts übrig bleibt.

Lohnt es sich für Bürgergeldbezieher rein finanziell, eine Arbeit aufzunehmen?

Im Prinzip schon, allerdings in vielen Fällen nicht sehr stark. Denn wer eigenen Ar­beitslohn erzielt, muss ihn sich großenteils mit dem Bürgergeld verrechnen lassen. Da Monatsverdienste unter 1200 Euro aber zu Abzügen von weniger als 100 Prozent vom Bürgergeld führen, gilt zumindest formal: Wer arbeitet, hat (etwas) mehr Geld als derjenige, der nicht arbeitet. Ebenso richtig ist: Rein rechnerisch bringt eine Stunde Arbeit in solchen Fällen oft nicht mehr als 2,50 Euro zusätzliches Nettoeinkommen. Anders ist es natürlich in Fällen von Schwarzarbeit: Der Verdienst bleibt im Zweifel nicht nur (illegal) steuer- und abgabenfrei. Erfährt das Jobcenter nichts davon, kann es ihn auch nicht aufs Bürgergeld anrechnen.

Nun will die Regierung das Bürgergeld in Teilen korrigieren. Was hat sie vor?

Von insgesamt 49 Punkten, die Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) am 4. Juli als „Wachstumsinitiative“ verabredet haben, betrifft ein halbes Dutzend das Bürgergeld. Darunter: strengere Anforderungen bei der Arbeitssuche, härtere Sanktionen, engere Grenzen fürs sogenannte Schonvermögen und eine neue Prämie für langzeitarbeitslose Bürgergeldbezieher, die existenzsichernde Arbeit aufnehmen.

Wie sollen die Anforderungen an die Arbeitssuche verschärft werden?

Ist eine Vollzeitarbeit in einem anderen Ort verfügbar, die sich mit bis zu drei Stunden täglicher Pendelzeit erreichen lässt, können Bürgergeldbezieher diese künftig nicht mehr als unzumutbar ablehnen. Zudem sollen diejenigen, die kurzfristig Arbeit aufnehmen könnten, künftig mindestens einmal im Monat persönlich im Jobcenter vorsprechen. Überdies will die Regierung das Instrument der Ein-Euro-Jobs, gemeinnütziger Arbeitsgelegenheiten, wiederbeleben. Vor allem wenn der Verdacht besteht, dass Bürgergeldbezieher sich nicht richtig bemühen, eine angebotene Stelle wirklich zu bekommen, sollen die Jobcenter sie hilfsweise zu solchen Tätigkeiten einteilen.

Was soll sich an den Sanktionen ändern?

Wenn Bürgergeldbezieher die Aufnahme von Arbeit oder Förderkursen verweigern, soll ihnen die Regelleistung künftig zügig und „einheitlich“ um 30 Prozent für drei Monate gekürzt werden, so die Pläne. Und wer grundlos einen Termin im Jobcenter versäumt, soll künftig auch mit 30 Prozent Kürzung rechnen müssen. Anstelle der bisher oft starren gesetzlichen Sanktionsdauern soll dabei gelten, dass sich die Kürzung durch Erscheinen rasch wieder beenden lässt.

Wie soll sich Arbeit stärker lohnen?

Die im Ampelkoalitionsvertrag eigentlich vereinbarte große Reform hin zu einem leistungsfreundlicheren Sozialstaat wird wohl nicht mehr kommen. Aber eine Neuerung im Bürgergeld ist nun geplant: Wer als Langzeitarbeitsloser den Einstieg in eine existenzsichernde Arbeit schafft, soll künftig vom Jobcenter mit einer Prämie belohnt werden. Demgegenüber will die Regierung Schwarzarbeit stärker bekämpfen, damit sich reguläre Arbeit stärker lohnt.

Was ist mit dem Schonvermögen?

Bisher gilt hier eine einjährige Karenzzeit: Wer mehr auf der hohen Kante hat, als eigentlich mit dem Bezug sozialstaatlicher Grundsicherung vereinbar ist, muss für seinen Unterhalt auch eigenes Vermögen liquidieren. Ist nach der Karenzzeit immer noch „erhebliches“ Vermögen da, entfällt der Bürgergeldanspruch. Nun soll die Frist auf sechs Monate halbiert werden.

Und wann kommt die Reform der Bürgergeldreform?

Bisher sind es Beschlüsse der Regierungsspitzen, es gibt noch keinen Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Da die Änderungen auch den Bundeshaushalt 2025 entlasten sollen, müssten sie zügig beschlossen werden. Ob die Ampelfraktionen im Bundestag das mitmachen, ist aber offen. Bei SPD und Grünen formiert sich jetzt schon Widerstand. Ein Politiker der Linken warf den Befürwortern einer solchen Reform in dieser Woche sogar „Volksverhetzung“ vor.

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