Abschiebung: Warum die Bundespolizei nur wenige an der Grenze zurückweist
Als der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz vor kurzem sagte, man müsse an den deutschen Grenzen konsequenter Menschen zurückweisen, war das in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Er stellte damit eine Forderung auf, die seit Beginn der Flüchtlingskrise 2015 auf deutscher und europäischer Ebene immer wieder diskutiert wird und immer wieder zu Streit führt. Offenbar ist Merz bereit, in diesen Konflikt zu ziehen. Und es war außerdem bemerkenswert, weil es einen Bruch zur Linie von Angela Merkel darstellt. Der damalige CDU-Vorsitzenden war es 2015 und danach rechtlich zu unsicher, Zurückweisungen an der deutschen Grenze anzuordnen.
Die Bundespolizei hat im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben einige tausend Personen an den deutschen Grenzen zurückgeschoben. Das sind wenige im Vergleich zu den 127.000 unerlaubten Einreisen, die im selben Zeitraum festgestellt wurden. Aber es zeigt, dass es für die Bundespolizei möglich ist, Migranten daran zu hindern, deutsches Staatsgebiet zu betreten. Unterschieden werden muss, ob eine Person an der deutschen Grenze unmittelbar ein Asylgesuch äußert oder nicht.
Europäisches Recht überlagert nationales
Zwar regelt Artikel 16a des Grundgesetzes, dass Personen kein Recht auf Asyl haben, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland kommen, und Deutschland ist nur von solchen sicheren Staaten umgeben. Aber allgemein wird die Auffassung vertreten, dass europäisches Recht in dieser Frage nationales Recht überlagert. Und daraus lässt sich ableiten, dass es ein Menschenrecht gibt auf einen vorübergehenden Aufenthalt zwecks Durchführung eines Asylverfahrens. Nur zeigt die Praxis, dass die Personen, die einmal im Land sind, erst einmal nicht wieder gehen.
Das Gegenargument, so auch von Merz geäußert, gegen dieses Vorgehen lautet: Europäische Dublin-Verfahren sind faktisch ausgesetzt, also warum soll Deutschland dann nicht sein eigenes Recht anwenden dürfen? Merkel sagte dazu nein, Merz sagt nun ja.
Inzwischen gibt es zu der Frage aber ein wichtiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom September 2023. Demnach darf zwar an EU-Außengrenzen zurückgewiesen werden, aber es ist eigentlich immer rechtswidrig, Migranten an EU-Binnengrenzen zurückzuweisen. Selbst dann, wenn sie kein Asylgesuch formulieren. Denn ein solches Vorgehen der Grenzpolizisten verstoße gegen die Rückführungsrichtlinie, die vorschreibt, dass gegen eine Person eine Abschiebeandrohung mit Frist zur freiwilligen Ausreise ausgesprochen werden muss – selbst, wenn die Person eine Gefahr darstellt. Dann kann sie zwar in Haft genommen werden, darf aber trotzdem einreisen. Die Gewerkschaft der Polizei interpretiert das als faktisches Verbot, Personen an deutschen Grenzen zurückzuweisen.
Bilaterale Abkommen als Lösung?
Ein gangbarer Weg ist aber, dass Deutschland Abkommen schließt mit Nachbarländern und sich auf Zurückweisungen einigt. Das wohl am besten funktionierende ist das zwischen Deutschland und der Schweiz. Schon seit 1961 ist geregelt, dass die Bundespolizei „grenzpolizeiliche Maßnahmen auf Schweizer Hoheitsgebiet“ vornehmen darf. Bundespolizisten stoppen also bereits auf schweizerischem Territorium Geflüchtete, die nach Deutschland wollen.
Sie werden entweder zum Badischen Bahnhof in Basel oder zu einer Dienststelle in Efringen-Kirchen gebracht, dort erfasst und an die Schweizer Polizei zurückgewiesen. Denn es ist wichtig, dass eine ordentliche Übergabe an die Behörden jenseits der deutschen Grenze stattfindet, damit die Migranten nicht immer wieder versuchen, nach Deutschland zu gelangen. Die Zahl der Zurückweisungen in die Schweiz ist zuletzt noch einmal gestiegen.
Warum also nicht mehr solcher Abkommen schließen? Sie wären schließlich auch ein Ausweg aus der europäischen Rechtssprechung, wonach eigentlich keine Zurückweisungen mehr möglich sind. Es gibt diese Abkommen sogar schon. Deutschland hat zum Teil seit vielen Jahren solche mit Österreich, Frankreich, Polen und der Tschechischen Republik. Nur spielen sie in der Praxis offensichtlich kaum eine Rolle. Die AfD hat darauf im Bundestag hingewiesen und gefordert, die Abkommen anzuwenden. Von Seiten der Bundesregierung oder der Bundespolizei gibt es keine Erklärung, warum das nicht geschieht.
Im neuen Sicherheitspaket der Ampel geht es nicht um Grenzen
Dass es einen Konflikt gibt zwischen europäischem Recht und nationalen Sicherheitsinteressen, sieht man auch auf EU-Ebene. Im Frühjahr dieses Jahres wurde eine Aktualisierung des Schengener Grenzkodex beschlossen. Darin heißt es, dass die Mitgliedstaaten zusätzliche Maßnahmen ergreifen können, um irreguläre Migration zu bekämpfen. Explizit genannt werden gemeinsame Polizeistreifen zweier EU-Länder.
Wenn dann Drittstaatsangehörige ohne Aufenthaltsrecht im Grenzgebiet aufgegriffen werden, sollten die Behörden die Möglichkeit haben, die Person in das Land zu überstellen, aus dem sie eingereist ist. „Der Mitgliedstaat, aus dem die Drittstaatsangehörigen unmittelbar eingereist sind, sollte seinerseits dazu verpflichtet sein, den aufgegriffenen Drittstaatsangehörigen zu übernehmen.“
Also auch an dieser Stelle gibt es Regeln, die sich zum Teil widersprechen und wo es am Ende auf eine politische Entscheidung hinauslaufen dürfte, ob man im großen Stil an den deutschen Grenzen zurückweist oder nicht. Auffallend war zumindest, dass im Sicherheitspaket der Ampel-Koalition, in dem es auch um die Begrenzung der Migration geht, das Wort Grenze kein einziges Mal vorkommt.