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Kontrollen an Binnengrenzen: Normalität im Schengenraum

Wenn die Bundespolizei am kommenden Montag an allen deutschen Grenzen Posten bezieht, wird etwa die Hälfte des Schengenraums wieder Kontrollen unterliegen. Und zwar dort, wo sie eigentlich abgeschafft sein sollten: an den Binnengrenzen. Acht EU-Staaten haben solche Kontrollen derzeit bei der Europäischen Kommission gemeldet. Dadurch spaltet sich die Zone des freien Reisens in zwei Teile: den Osten, wo frühere Maßnahmen eingestellt wurden, und den Westen, wo seit Herbst 2023 wieder massiv kontrolliert wird. Allein die deutschen Kontrollen wirken sich auf neun Nachbarländer aus.

Die Begründungen klingen stets ähnlich. Innenministerin Faeser beruft sich wie andere Staaten gegenüber der EU-Kommission auf „Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit irregulärer Migration“ und die „angespannte Unterbringungssituation für Flüchtlinge“. Frankreich verweist zusätzlich auf „eine verstärkte terroristische Bedrohung“ im Zu­sammenhang mit den Olympischen Spie­len, Schweden auf den Krieg im Nahen Osten, der „das Risiko schwerer Gewalt und von Angriffen, die durch Antisemitismus motiviert sind, erhöht hat“. Österreich macht die „Bedrohung durch Waffenhandel und kriminelle Netzwerke aufgrund des Krieges in der Ukraine“ gel­tend. Mehr Kontrollen gab es zuvor nur während der Pandemie im Jahr 2020; damals wurde auch die Einreise für EU-Bürger stark beschränkt.

Bis 2014 waren es nur 35 Meldungen

Tatsächlich sind Grenzkontrollen aber schon seit zehn Jahren zu einer Normalität im Schengenraum geworden. Eine Liste der EU-Kommission verzeichnet bis 2014 nur 35 Meldungen, meistens für kurzzeitige Kontrollen im Zusammenhang mit einem Terroranschlag oder Großereignissen wie einem Papstbesuch oder einem NATO-Gipfel. Inzwischen hat die Liste insgesamt 441 Einträge. Das Jahr 2015 war aus zwei Gründen der Wendepunkt: einerseits wegen der unkontrollierten Migrationsströme durch Europa, andererseits wegen der schweren Terroranschläge in ­Paris. Frankreich führt seitdem an allen Grenzen Kon­trollen durch – obwohl das dem Schengener Grenzkodex offenkundig zuwiderläuft.

Dort heißt es ausdrücklich, dass „die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen eine Ausnahme darstellen und nur als letztes Mittel eingesetzt werden (sollte)“. Bisher waren solche Kontrollen für maximal zwei Jahre möglich, seit der letzten Änderung des Kodex im Februar sind es drei Jahre. In der Praxis scheren sich die Staaten darum sowieso nicht. Statt die Kon­trollen zu beenden, wechseln sie einfach die Begründung und beginnen nahtlos einen neuen Zyklus. Das betrifft auch Deutschland, das seit Herbst 2015 an seiner Grenze zu Österreich kontrolliert.

Die EU-Kommission verweist als Hüterin der Verträge gern auf Rechtstexte. Als eine Sprecherin am Dienstag gefragt wurde, wie oft man denn schon Einspruch gegen Kontrollen erhoben habe, lavierte sie allerdings herum. Die Wahrheit ist: in keinem einzigen der 441 Fälle. Während der Pandemie wurden zwar Briefe verschickt, um offenkundig rechtswidrige Einreisesperren zu kritisieren, nicht nur an Ungarn, sondern auch an Belgien. Doch hat die Kommission noch nie ihr Recht zu einer formellen Stellungnahme genutzt. Deshalb setzte das EU-Parlament bei der Revision des Grenzkodex durch, dass die Kommission spätestens nach einem Jahr zur Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit von Kontrollen Stellung nehmen muss. Das wird im kommenden Frühjahr erstmals der Fall sein.

EU-Kommission konzentriert sich auf Folgen für den Warenverkehr

Bisher legt die Kommission lediglich einmal im Jahr einen allgemeinen Bericht zur Lage des Schengenraums vor, in dem sie keine Beurteilung einzelner Kon­trollen vornimmt. Der jüngste Bericht stammt von April und liest sich streckenweise wie eine Liste frommer Wünsche. Darin heißt es etwa, dass die Staaten nach der An­nahme des neuen Grenzkodex ei­nen regionalen Ansatz verfolgen würden, „um lang anhaltende Binnengrenzkon­trollen schrittweise abzuschaffen“. Wie man sieht, ist tatsächlich das Gegenteil der Fall: Angeführt von Deutschland nehmen die Kontrollen wieder zu. Auch die niederländische Ministerin für Asyl und Migration, Marjolein Faber von Geert Wilders’ Partei für die Freiheit, wies inzwischen die zuständige Militärpolizei an, sich auf eine Verstärkung der Grenzkon­trollen vor­zubereiten. Sie sei dazu auch mit Deutschland im Gespräch, teilte sie mit.

In der Praxis beschränkt sich die EU-Kommission darauf, die Wirkungen von Kontrollen auf den freien Personen- und vor allem Warenverkehr abzumildern. So wurden während der Pandemie an den Binnengrenzen „Green Lanes“ für die beschleunigte Abfertigung von Frachtfahrzeugen eingerichtet. Nachdem Lastwagen zu Beginn der Krise stundenlang im Stau gestanden hatten, sollten die Kontrollen nun nicht länger als 15 Minuten je Fahrzeug dauern. Grundsätzlich empfiehlt die Kommission systematische Kontrollen nur „als letztes Mittel“ auf Ausnahmesi­tua­tionen zu beschränken. Zudem sollen die Staaten mobilen Kontrollen in ihrem Hoheitsgebiet den Vorzug gegenüber statischen Kontrollen an der Grenze geben – das betrifft die sogenannte Schleierfahndung im Hinterland.

Tatsächlich sind die Staaten darum bemüht, die praktischen Auswirkungen von Kontrollen auf ihre Bürger zu minimieren. So winken deutsche Beamte an der Grenze zu Österreich nur Fahrzeuge heraus, die in ein bestimmtes Raster fallen, etwa Kleintransporter, die oft von Schleusern benutzt werden. In Frankreich wird oft an grenznahen Mautstationen auf den Autobahnen kontrolliert, wo Fahrzeuge ohnehin kurz stoppen müssen. Es gibt auch mehr gemeinsame, grenzüberschreitende Patrouillen von Polizisten im Hinterland. Diese sind allerdings keine Alternative zu stationären Kontrollen, wie von Brüssel gewünscht, sondern eine Ergänzung.

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