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Angst vor Putin: Viele Polen planen ihre Flucht

Angst vor Putin: Viele Polen planen ihre Flucht

In Polens Städten kann man in diesen Tagen ungewöhnliche Gespräche erleben. Anruf einer alten Bekannten: „Hallo, lange nicht gehört! Wie geht es euch? Bei uns gibt es etwas Neues. Die Lage hier wird uns zu gefährlich. Vor allem wegen der Kinder. Wir haben entschieden: Wir verlagern jetzt einen Teil unserer Familie nach Deutschland. Zum Glück habe ich dort eine Stelle gefunden.“

Das Paar, nennen wir die beiden Paulina und Marek, ist zupackend, gut ausgebildet, hat Fremdsprachenkenntnisse und Auslandserfahrung. Jetzt haben sich die beiden eine deutsche Großstadt ausgesucht: Hannover. „Unsere Kriterien waren: Lebenshaltungskosten und Mieten, innere Sicherheit, Kinderfreundlichkeit“, sagt Paulina. Die beiden sehen eine wachsende, von Moskau ausgehende Kriegsgefahr, über die Ukraine hinaus. „Ich denke, die Russen werden in Kiew nicht haltmachen.“ Also setzt sich diese Familie in Bewegung, um in Deutschland zumindest ein Bein auf dem Boden zu haben. In dieser Woche soll es losgehen. „Für den Fall der Fälle. Du verstehst mich?“

Diktatoren wollen „alles fressen, was reingeht“

Zwei Tage später wieder ein Gespräch, diesmal mit einer rüstigen Rentnerin. Sie spricht gut Deutsch, hat früher für eine deutsche Institution gearbeitet. „Sag mal, Iga, macht dir diese Lage mit Russland auch Sorgen?“ – „Ja, ich denke auch darüber nach. Vor allem, seit die Ukraine auf dem Rückzug ist. Im Kriegsfall können wir auf die Deutschen nicht zählen, das ist klar. Zeitenwende, das ist leere Rhetorik. Und die EU – ein Koloss auf tönernen Füßen, militärisch kann man sie vergessen. Es geht Pu (Igas Spitzname für Putin) nicht nur um die Ukraine. Es geht um eine neue Ordnung der Einflusssphären. Und dann sind wir, Polen, wieder ein Puffer zwischen zwei Machtbereichen.“

Also, was tun? Jetzt legt Iga den Finger auf die Lippen und sagt: „Pssst! Ich habe Freunde in Frankreich gefragt, ob sie mich im Notfall aufnehmen würden, für einige Zeit. Ich habe eine Zusage bekommen. Was ich mir dort von meiner polnischen Rente kaufen könnte, ist eine andere Frage. Ich überlege schon, was ich dann mitnehmen würde. Die Entscheidung fällt mir schwer.“ Iga hält einen neuen Krieg „im Horizont von zwei Jahren“ für möglich. „Nicht so ein Krieg, wie wir ihn kennen, der erklärt wird, mit Pauken und Trompeten. Sondern ein moderner Krieg. Sollte zum Beispiel bis dahin das Bargeld abgeschafft sein, wird der Mensch dem Staat viel stärker ausgeliefert sein: Man kann ihm dann sehr einfach den Geldfluss sperren. Sollten Agrar­produkte stärker aus Übersee kommen, kann man leicht die Zufuhr abschneiden.“

Europäischen Union das Schlusslicht. Doch in Kriegszeiten, wenn Gewalt, Raub, Plünderung sich ausbreiten, ist es gut, eine Pistole im Schrank zu haben. Konrad blickt voller Unruhe auf Russland und seinen Bündnispartner Belarus, ebenso wie auf die Wahlen in Amerika im Herbst: „Was für eine Beziehung Putin und Trump verbindet, weiß niemand außer den beiden Herren selbst. Die Sache ist nebulös.“ Konrad will, wie die anderen Gesprächspartner, seinen wahren Namen nicht in der Zeitung lesen.

In Polen finden am Sonntag Kommunal- und Regionalwahlen statt. Da konnte nicht ausbleiben, dass ein Thema, das in erster Linie der Landespolitik vorbehalten ist, auch im Wahlkampf auftaucht: die Vorbereitung der Bevölkerung auf einen Kriegsfall. In einer Debatte vor der Direktwahl des Bürgermeisters in Krakau, Polens zweitgrößter Stadt, die vom Radiosender TOK FM übertragen wurde, fragte ein Bürger, ob in der Stadt genügend Bunker vorhanden seien. Daraufhin versprachen die wichtigsten Kandidaten, sich um eine Bestandsaufnahme und nötigenfalls Renovierung der Schutzräume zu kümmern, entsprechende Richtlinien für die Erbauer von Tiefgaragen zu erstellen und anderes mehr.

Hundert Meter unter Erde: Wird die Kapelle im Salzbergwerk Wieliczka nahe Krakau bald zum Schutzraum?

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Bild: Imago

In Polens Hauptstadt hat der Liberale Rafał Trzaskowski, der Stadtvater bleiben möchte, im März entschieden, ein Programm namens „Warschau schützt“ ins Leben zu rufen. Die Stadt werde umgerechnet 27 Millionen Euro ausgeben. „Sicherheit ist ein Grundwert“, verkündete Trzaskowski; man müsse „auf alle Eventualitäten vorbereitet sein“. Man werde in die Infrastruktur investieren, „in die Zugänge zu Wasser und Strom sowie in die städtischen Überwachungs- und Alarmsysteme“. Außerdem solle die Bevölkerung jedes Jahr während der „Woche der Sicherheit“ darin geschult werden, wie man Mitbürgern Hilfe leisten kann.

Aber eine Klarstellung musste sein: „Niemand will irgendjemandem in Polen Angst einjagen“, schrieb Trzaskowski auf der Plattform X. „Polen ist sicher – schon durch die Mitgliedschaft in starken Allianzen, der NATO und der EU.“ Doch das Land brauche auch eine starke Armee und eine starke Zivilverteidigung. Schon 2022 habe man in Warschau sieben Millionen Quadratmeter Schutzräume ermittelt, „genug für 3,5 Millionen Menschen“, also mehr als die Stadt Einwohner hat.

Donald Tusk, seit Dezember Ministerpräsident einer Mitte-links-Koalition, hat in den vergangenen Wochen stark auf das Ziel „aufrütteln“ gesetzt. Am Freitag sagte er, die Welt stehe vor dem Anbruch einer „Vorkriegszeit”. Kürzlich habe Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez ihn gebeten, „in öffentlichen Erklärungen das Wort Krieg nicht zu verwenden“, das klinge in Spanien abstrakt. „Ich habe ihm geantwortet: Krieg ist in unserem Teil Europas nicht länger abstrakt. Es ist unsere Pflicht, sich auf Verteidigung vorzubereiten.“

Russlands auf die Ukraine regelmäßig über Ostpolen aufsteigen, die anfliegende Rakete nicht abgeschossen hatten. Immerhin ist dies schon das dritte Mal seit Kriegsbeginn, dass eine etwa zwei Tonnen schwere russische Rakete den polnischen Luftraum verletzte; die erste davon war tief in Zentralpolen in einem Wald gelandet. Die Regierung Tusk setzt im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin in solchen Fällen auf offene Kommunikation: Führende Militärs erklärten in den Medien, dass ein Abschuss und damit ein unkontrollierter Absturz von Trümmern nicht immer die beste Lösung sei.

Die Angst vor Russland schlägt sich auch anders als bisher in Befragungen nieder. Ende März fragte die Zeitung „Rzeczpospolita“ die Bevölkerung: „Sollen Polen und andere NATO-Länder Truppen in die Ukraine entsenden?“ 75 Prozent der Befragten, darunter besonders die Männer, lehnten das ab, nur zehn Prozent waren dafür. Ende Januar hatten jedoch 69 Prozent sich dafür ausgesprochen, mit der NATO und der Ukraine eine Regelung für die Grenzregion zu finden, die es ermöglicht, Richtung Polen fliegende Raketen im Anflug abzuschießen.

Medwedjew: Polen plant Blutbad

Polen hat mit Russland mehrfach in der Geschichte leidvolle Erfahrungen machen müssen. Nach einer Phase relativ guter Nachbarschaft in den Neunzigerjahren, nach dem Ende der Diktaturen im Ostblock, überziehen russische Politiker Polen schon seit Jahren mit verbalen Beschimpfungen und Drohungen.

Russlands früherer Präsident Dmitrij Medwedjew, heute ein besonders lautstarkes Sprachrohr seines politischen Mentors Wladimir Putin, malte im November in einem langen, mit historischen Anekdoten geschmückten Aufsatz in der Moskauer „Rossijskaja Gaseta“ den vermeintlichen polnischen Teufel an die Wand: „Dieses Land wartet auf den geeigneten Augenblick, um Osteuropa wieder in ein Blutbad zu stürzen, um seine eigenen Ziele erreichen zu können.“ In Warschau werde ein „territorialer Revanchismus“ gepflegt. Polen träume davon, der Hegemon der Region zu werden. Dann eine verkappte Drohung: Polens Unbelehrbarkeit könne sich „schon in naher Zukunft auf breiter Front rächen“. Zum Abschluss fragte Medwedjew: „Werden wir dann trauern, wenn die heutige polnische Staatlichkeit scheitert? Natürlich nicht!“

Von Panik angesichts solcher russischer Aussagen kann in Polen keine Rede sein. Aber die Besorgnis wächst. Ein weiteres Anzeichen dafür: 2023 kauften Polen in Spanien mehr als 3000 Immobilien. Damit sei der polnische Anteil an den Geschäften von 1,6 (2019) auf 3,6 Prozent gestiegen, berichtete dieser Tage die „Gazeta Wyborcza“. Früher seien in Polen tätige spanische Makler wohlhabendere Kunden gewohnt gewesen. Jetzt aber kämen jüngere Leute mit kleineren Budgets. Der Makler Alfredo Izquierdo verrät: „Sie haben 150.000 Euro und fragen, ob ich ihnen dafür was finden kann.“ Sein Kollege Sebastian Pawlak hat ähnliche Erfahrungen. „Etwa die Hälfte der Kunden sagt uns im Gespräch, sie denke an zweierlei: wo man sicher Geld anlegen und wohin man im Kriegsfall fliehen kann.“

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