Beloussow als neuer Verteidigungsminister Russlands: Wer ist Schoigus Nachfolger?
Wer ist der neue Mann an der Spitze des russischen Verteidigungsministeriums?
Wie viel Russlands Präsident Putin von Andrej Beloussow hält, war Anfang 2020 wieder einmal deutlich geworden. Damals wechselte der 1959 in Moskau geborene Ökonom aus der Präsidialverwaltung, wo er Putin in Wirtschaftsfragen beraten hatte, in die Regierung, und zwar als Erster Stellvertreter des damals neu ernannten Ministerpräsidenten Michail Mischustin. Der konnte zwar viele „seiner Leute“ in die Regierung holen, die Personalie Beloussow aber wurde laut damaligen Medienberichten vom Kreml vorgegeben. Beloussow ist ein Verfechter des Staatskapitalismus. Demnach gilt es, umfassend zu dirigieren und zu kontrollieren, zum Machterhalt und zur Stärkung des Staats.
Beloussow arbeitete lange in makroökonomischen Forschungseinrichtungen, ehe er 2006 stellvertretender Wirtschaftsminister wurde. Als Putin 2008 auf den Posten des Ministerpräsidenten wechselte, wurde Beloussow sein führender Ökonom und ist seither eng mit ihm verbunden. 2012 wurde er Wirtschaftsentwicklungsminister, 2013, im Jahr nach Putins Rückkehr ins Präsidentenamt, der führende Wirtschaftsberater im Kreml. Er glaube daran, dass Russland „von Feinden umzingelt“ sei, zitierte das Wirtschaftsportal „The Bell“ eine „Quelle in der Regierung“. Im Jahr 2014 sei Beloussow der Einzige aus „Putins Wirtschaftsumfeld“ gewesen, der die Annexion der ukrainischen Krim unterstützt habe. In den vergangenen Jahren war Beloussow laut „The Bell“ vor allem damit befasst, bei Russlands Rohstoffexporteuren mehr Geld abzuschöpfen; auch ist er mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer verbunden.
Seit Langem steht Beloussow dafür, mehr Staatsgeld für große Projekte auszugeben, für Infrastruktur und nun, im großen Krieg, für Rüstung. Vielen gilt es als Überraschung, dass mit dem Ökonomen Beloussow ein „Zivilist“ Russlands Verteidigungsministerium führen soll. Es gibt aber eine entsprechende Tradition: Der bisherige Minister Sergej Schojgu ist ausgebildeter Ingenieur und baute später den Katastrophenschutz auf. Dessen Vorgänger, Anatolij Serdjukow, hatte ein sowjetisches Handelsinstitut besucht und arbeitete später in der Steuerinspektion. Beloussow soll aber nicht einmal den Grundwehrdienst absolviert haben.
Ist der Wechsel eine Niederlage für den bisherigen Amtsinhaber Sergej Schojgu?
Als im vergangenen Monat ein Korruptionsstrafverfahren gegen Timur Iwanow, einen der Stellvertreter Schojgus und dessen Weggefährte, eröffnet wurde, galt das vielen als Warnsignal an den Verteidigungsminister. Schojgu wurde früher als Reformer der russischen Streitkräfte gelobt, doch im Zuge des Überfalls auf die Ukraine haben sich viele Schwächen in der Armee gezeigt. In den langen Jahren, in denen Schojgu Putin diente – er war seit Ende 2012 Verteidigungsminister –, ist er auch in der Öffentlichkeit als „Putins Mann“ wahrgenommen worden: Von den beiden gibt es zahlreiche Bilder, die sie beim gemeinsamen Urlaub in der Wildnis zeigen, vor allem in Schojgus Heimat in der südsibirischen Teilrepublik Tuwa.
Wer wollte, konnte sich seit Langem in Enthüllungen von Alexej Nawalnyjs Antikorruptionsstiftung über das Luxusleben Schojgus und dessen Tochter informieren, das mit offiziellen Bezügen nicht annähernd zu erklären ist. Auch darauf fußten Attacken des Milizenführers Jewgenij Prigoschin im eskalierenden Machtkampf mit Schojgus Militär; Prigoschins Aufstand im Juni 2023 richtete sich nicht gegen Putin, sondern gegen die Armeeführung. Schojgu sei zu bedeutend, um zu stürzen, schrieb jetzt der exilierte Politologe Alexandr Baunow auf Facebook. Doch habe Schojgu auf seiner neuen Position als Sekretär des Sicherheitsrats, auf der er Putins Weggefährten Nikolaj Patruschew abgelöst hat, weder echte Befehlsgewalt noch eine „Kasse“, also Zugriff auf Staatsgelder – die gerade im Fall des Verteidigungsministeriums gewaltig sind. Der Sicherheitsrat, formal ein wichtiges Entscheidungsgremium in Fragen von Krieg und Frieden, erscheint nach dieser Personalie noch mehr als Abklingbecken für Männer, die Putin lange an vorderster Position dienten.
Für Dmitrij Medwedjew, Putins langjährigen Ministerpräsidenten und Statthalter im Präsidentenamt von 2008 bis 2012, wurde 2020 eigens der Posten eines stellvertretenden Vorsitzenden in dem Gremium geschaffen. Medwedjew nutzt diese Bühne für eine selbst nach aktuellen Moskauer Verhältnissen schrille Rhetorik gegen den Westen und die Ukraine. Doch niemand käme auf die Idee, ihm einen Einfluss zuzumessen, der dem eines Putin-Stellvertreters entspräche, wie es sein Posten nahelegt. Schojgu dürfte sein neues Amt weniger öffentlichkeitswirksam ausüben als Medwedjew; schon bisher, als Minister, beschränkte er sich darauf, spröde Bericht zu erstatten und Putin Erfolge zu melden. Zu seinem Erbe zählt aber auch die „Junarmija“, eine Jugendorganisation, die schon Kinder für den Dienst an der Waffe erwärmen und gegen äußere Feinde einstellen soll.
Wie erklärt der Kreml den Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums, und was bedeutet er für die Kriegsführung?
Dass überhaupt eine neue Regierung berufen wird, hängt damit zusammen, dass Putin gerade eine neue, schon fünfte Amtszeit als Präsident angetreten hat. Sein Sprecher, Dmitrij Peskow, äußerte sich noch am Sonntagabend zu der wichtigsten Personalie, und zwar recht ausführlich, da die Ernennung Beloussows viele überraschte. Sie ändere nicht „das Koordinatensystem“, sagte Peskow. Er wies darauf hin, dass militärische Fragen immer die Aufgabe des Generalstabs gewesen seien, in dem „bisher“ keine Änderungen vorgesehen seien. Generalstabschef Valerij Gerassimow und dessen Stellvertreter sollen also zunächst ihre Posten behalten. Zwar lobte Peskow Schojgus Erfahrung auf dem Gebiet der Rüstung und hob hervor, der bisherige Minister sei nun von Amts wegen Putins Stellvertreter an der Spitze eines Rüstungsausschusses und werde auch eine Behörde zur militärtechnischen Zusammenarbeit leiten.
Doch machte Peskow klar, dass Putin in der Rüstung den Schlüssel zum Kriegserfolg sieht. Das Budget des Verteidigungsministeriums und des „Gewaltblocks“ aus Polizei und anderen Diensten sei während des Kriegs von drei Prozent auf 6,7 Prozent gestiegen und nähere sich der Lage der Achtzigerjahre an, als das Niveau 7,4 Prozent betragen habe, sagte Peskow. Beloussow solle das Verteidigungsministerium „absolut offen für Innovation“ machen. „Auf dem Schlachtfeld gewinnt heute derjenige, der offener für Innovationen ist, der offener für die schnellste Umsetzung ist“, sagte Peskow. „Daher ist es nur natürlich, dass der Präsident in der jetzigen Phase beschlossen hat, einen Zivilisten an die Spitze des Verteidigungsministeriums zu stellen“, fügte der Sprecher hinzu und verwies auf Beloussows Erfahrung in hohen Ämtern.
Für den exilierten Journalisten Michail Fischman soll sich der Ökonom vor allem um die weitere Verbesserung der Kriegswirtschaft kümmern. Mit Blick auf die militärischen Entscheidungen sieht Fischman ohnehin Putin als den „wahren Verteidigungsminister“, der die Front über den Generalstab beeinflusse. Man kann auch in der aktuellen Offensive im nordostukrainischen Charkiwer Gebiet eine Umsetzung von Zielen des Oberbefehlshabers sehen: Am Abend nach Ende der Scheinpräsidentenwahl im März war Putin nach einer Aussage des Gouverneurs des Belgoroder Gebiets gefragt worden. Dieser hatte gesagt, um die Sicherheit des Gebiets zu gewährleisten, müsse man das angrenzende Charkiwer Gebiet anschließen. Dazu sagte Putin, er sei jetzt nicht bereit, darüber zu reden, „was wir wann anschließen müssen“, doch schließe er nicht aus, „Sanitärkorridore“ zu schaffen in Gebieten, die „das Kiewer Regime“ heute kontrolliere. Laut „The Bell“ zeigt die Entscheidung für Beloussow neuerlich, dass sich der Kreml auf einen langen Krieg einrichtet, dessen Bedürfnissen alles andere untergeordnet werde.
Was bedeutet der Fortgang des bisherigen Sekretärs des Sicherheitsrats, Nikolaj Patruschew?
Der heute 72 Jahre alte Patruschew folgte im August 1999 auf Putin an der Spitze des Geheimdienstes FSB. 2008 wurde er Sekretär des Sicherheitsrats. Sein Einfluss wurde weniger mit dieser Position, sondern mit seiner jahrzehntelangen Verbindung zu Putin erklärt. Sie bestand schon während der islamistischen Terroristen zugeordneten Serie von Sprengstoffanschlägen auf Wohnhäuser, die mit Putins Amtsantritt als Ministerpräsident zusammenfiel und den Startschuss für den zweiten Tschetschenienkrieg bildete, mit dem Putin, den Präsident Boris Jelzin in der Neujahrsansprache zum Jahr 2000 als Nachfolger benannte, einen Ruf als harter Macher erwarb. Peskow sagte nun, man werde „in den kommenden Tagen“ mitteilen, wo Patruschew künftig arbeiten werde. Dass er bei Putin weiter in hohem Ansehen steht, sieht man auch daran, dass einer seiner Söhne, Dmitrij Patruschew, nun den Posten eines stellvertretenden Ministerpräsidenten erhält.
Was ist über die anderen Personalentscheidungen für Russlands neue Regierung bekannt?
Wesentliche Posten bleiben besetzt wie bisher: Michail Mischustin bleibt Ministerpräsident, Anton Siluanow Finanzminister, Sergej Lawrow Außenminister. Doch neben der Personalie des Patruschew-Sohnes fallen weitere Entscheidungen auf, die auf eine, so der Journalist Fischman, „feudale Regierung“ weisen. Neben Putins „Kriegskabinett“, das an Stalin erinnere, führe Mischustin eine „zweite Regierung“, die sich auf die zivilen Bereiche beschränke. Diese Regierung sei Putins engem Kreis übergeben worden. Beloussows Nachfolger als Erster Stellvertretender Ministerpräsident soll der bisherige Handelsminister Denis Manturow werden. Fischman ordnet ihn ebenso Putins Weggefährten Sergej Tschemesow zu, dem Leiter der Staatstechnologieholding Rostec, wie den neuen Handelsminister Anton Alichanow, der bisher Gouverneur des Kaliningrader Gebiets war. Der neue Verkehrsminister soll der bisherige Gouverneur des Kursker Gebiets Roman Starowojt werden, den Fischman Putins Jugendfreunden Arkadij und Boris Rotenberg zuordnet. Energieminister soll der bisherige Gouverneur des sibirischen Kohleabbaugebiets Kemerowo werden, Sergej Ziviljow. Er soll mit einer Verwandten Putins verheiratet sein und wird von Fischman mit dem Energieunternehmer Gennadij Timtschenko verbunden. Zudem leitet Boris Kowaltschuk, der Sohn des Putin-Weggefährten Jurij Kowaltschuk, künftig den Rechnungshof.