Corona-Test-Betrug: Bis zu zwei Milliarden Euro falsch abgerechnet
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) präsentiert sich gern als Aufklärer zu allen Fragen der Corona-Pandemie. Zuletzt kündigte er an, durch eine Sonderermittlerin die überteuerte Maskenbeschaffung im Frühjahr 2020 untersuchen zu lassen. Eine Motivation dafür sei, dem Steuerzahler hohe Nach- und Zinszahlungen zu ersparen. Nach Recherchen der F.A.Z. könnte der Minister auch in einem anderen Corona-Feld einen Milliardenbetrag für die Steuerzahler retten, nämlich über Rückforderungen an Testbetrüger.
Zwischen einer und zwei Milliarden Euro stehen hier im Feuer. Das ist mehr als die Hälfte der 2,3 Milliarden Euro, um die es bei den Masken geht, und ein Vielfaches des Mautdesasters. Jetzt fordern Steuerzahlerorganisationen und Haushaltspolitiker seiner eigenen Ampelfraktionen Lauterbach auf, den Betrugsfällen in den Teststellen mit mehr Engagement nachzugehen. Zuvor hatte schon der Bundesrechnungshof ein vernichtendes Urteil gefällt. „Die Abrechnungsprüfung ist nicht erkennbar effizienter geworden“, heißt es in einem Bericht aus dem Februar. Unterschiedliche Einrichtungen vergüteten, analysierten und überprüften die Unterlagen: „In die Plausibilitätsprüfungen werden nicht alle vorhandenen und dafür nötigen Daten einbezogen.“
Für die Corona-Tests wurden rund 17,8 Milliarden Euro ausgegeben, mehr als die 13 Milliarden für die Impfstoffe. Allein die unentgeltlichen Bürgertests seit März 2021 kosteten 8 Milliarden Euro. „Wir schätzen konservativ, dass die Testzentren davon ein Fünftel oder mindestens 1,5 Milliarden Euro falsch abgerechnet haben, es könnten aber auch 2 Milliarden sein“, sagt Matthias Warneke, der Leiter des Deutschen Steuerzahlerinstituts. „Dieses Geld kann und muss die öffentliche Hand zurückfordern, sie tut es aber nur halbherzig.“ Es gebe genügend Möglichkeiten, Betrugsindizien zu finden, insbesondere über die Auswertung von internen und externen Datensätzen. „Aber je länger man wartet, desto weniger wird am Ende einzutreiben sein“, fürchtet der Fachmann.
„Regierung in der Pflicht, Schadensbegrenzung zu betreiben“
Der Präsident des Bunds der Steuerzahler, Reiner Holznagel, ordnet die Vorgänge in einen größeren Zusammenhang ein. Im Kampf gegen Corona sei die Staatsverschuldung um mehrere hundert Milliarden Euro in die Höhe geschnellt, diese Belastungen gehörten systematisch aufgearbeitet. „Die jetzige Bundesregierung ist in der Pflicht, Schadenbegrenzung zu betreiben und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen.“
Holznagel erinnerte daran, dass der Staat bei Steuerhinterziehung zu Recht nicht zimperlich sei und auch unorthodoxe Wege gehe, etwa Datenträger zu kaufen. „Jetzt erwarte ich ein gleiches Vorgehen beim Testbetrug: Die Bundesregierung muss die Chance ergreifen, Geld in beträchtlichen Größenordnungen einzutreiben“, sagte Holznagel der F.A.Z. „Ganz offensichtlich wurde bei Abrechnungen für Corona-Tests betrogen.“ Der Schaden sei groß: „Es muss nicht nur Aufklärung her, sondern wir brauchen auch Strafverfolgung und Kostenrückforderung.“
Die grüne Haushaltspolitikerin Paula Piechotta kritisierte, wie in der Intensivbettenförderung und bei den Masken sei auch der Betrug in den Testzentren auf Kosten der Steuerzahler gegangen und leide bis heute unter unzureichender Aufarbeitung. Auch sie ist überzeugt, dass „eine Milliarde Euro zurückgeholt werden können“. Der Haushaltsausschuss habe eine Verlängerung der Aufbewahrungsfrist für die Zentren durchgesetzt, um auch nach 2024 Betrüger vor Gericht zu bringen. „Eine ehrliche und gründliche Aufarbeitung aller Fehler ist unerlässlich, in der nächsten Krise dürfen solche milliardenschweren Fehlentscheidungen nicht passieren“, so Piechotta. „Jeder falsch ausgegebene Euro ist eine verpasste Chance für ein besseres Gesundheitswesen.“
Keine valide Schätzung zur Anzahl der Betrugsfälle
Es gibt durchaus Millionenrückflüsse, aber diese könnten aus Sicht der Mahner viel höher sein. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), welche das Geld auszahlten und die Abrechnungen der Testzentren prüfen, haben bis zum 22. Juli über das Bundesamt für Soziale Sicherung 40,7 Millionen Euro an die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenkassen zurückgezahlt. Das erfuhr die F.A.Z. aus dem Gesundheitsministerium. Außerdem haben die KVen in fast 1300 Abrechnungsverfahren weitere Rückzahlungsansprüche über 165 Millionen Euro geltend gemacht. Die Auszahlung weiterer 453 Millionen Euro wurde auf Eis gelegt. Nicht erfasst sind Geldeinziehungen nach Strafverfahren.
„Eine valide Schätzung zur Anzahl der Betrugsfälle und der dadurch verursachten Schadenshöhe ist uns nicht möglich“, sagt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Auch zu den staatsanwaltschaftlichen Verfahren wisse man nichts: „Das BMG ist keine Ermittlungsbehörde und hat daher auch keine rechtliche Handhabe, Betrugsfällen im Einzelfall nachzugehen.“ Gleichwohl gebe es „ein großes Interesse daran, dass der Missbrauch von Steuergeldern verfolgt, aufgedeckt und auch geahndet wird.“ Genau deshalb arbeite man an einer Verlängerung einerseits der Aufbewahrungspflichten für die Testzentren und andererseits der Abrechnungsprüfungen durch die Länder und die Kassenärztlichen Vereinigungen.
Dem Ministerium ist wichtig, klarzustellen, dass gemäß der – mehrfach verschärften – Corona-Testverordnung die Länder und die KVen für die „ordnungsgemäße Durchführung und Abrechnung der Testungen“ zuständig sind und dass diese „bei etwaigem Verdacht auf eine strafbare Handlung die Staatsanwaltschaften informieren“. Die Steuerwächter vermuten dahinter ein mangelndes Aufklärungsinteresse und ein „Zuständigkeits-Pingpong“: Denn die Länder argumentierten ihrerseits, sie könnten nur handeln, wenn der Bund Indizien für den Betrug liefere.
Institutsleiter Warneke weist darauf hin, dass die KVen eine Servicepauschale von 2,5 Prozent der Testabrechnungen erhielten und daher „keinen großen Anreiz verspürten, intensiv zu prüfen und Auszahlungen zu verweigern“. Um den Betrügern auf die Schliche zu kommen, müssten die Honorarmeldungen der Zentren mit ihren positiven Testergebnissen bei den Gesundheitsämtern verglichen werden. Ein weiterer Weg wäre, die Metadaten externer IT-Dienstleister heranzuziehen, um Diskrepanzen aufzudecken, etwa zwischen tatsächlichen Testkapazitäten und der falsch abgerechneten Stückzahl.
Für diese Prüfungen müsste der Bund das Material erwerben, dazu wären geschätzt 2 bis 2,5 Millionen Euro nötig. Das Ministerium verweist darauf, dass sein Robert-Koch-Institut die Daten der KVen bereits auf „statistische Auffälligkeiten“ untersucht und diese den Ländern gemeldet habe, wo möglicherweise staatsanwaltschaftliche Ermittlungen begönnen. Hingegen habe das RKI keine Befugnis, Daten von privaten Softwareanbietern zu kaufen, die mit den Testzentren privatwirtschaftliche Verträge unterhielten. Die in den Ländern zuständigen Stellen könnten diesen Weg jedoch gehen, so der Sprecher.