EM 2024: Spanien besiegt England und ist Rekord-Europameister
Fünfundvierzig Minuten lang war es kein großes Finale, ein Spiel, das auf dem Rasen nicht das Versprechen einlöste, das mit dem atmosphärischen Vorspiel in der Stadt verbunden war: ein Tag, wie er das Turnier kaum stimmungsvoller hätte beschließen können.
Aber was dann in der zweiten Hälfte noch passierte im Berliner Olympiastadion, setze einen packenden Schlusspunkt unter diese Europameisterschaft – mit dem besseren Ende für Spanien, das sich mit 2:1 gegen England durchsetzte.
Zuerst war es die Art und Weise, wie die Roten in einer für sie höchst unbequemen Lage für einen Moment überwältigender Klasse sorgten. Rodri, ihre Königsfigur im zentralen Mittelfeld, hatte das Finale zur Pause verletzt verlassen müssen, schon im Viertelfinale gegen Deutschland hatten die Spanier Pedri nach acht Minuten verloren. Doch statt zu Grübeln wählte das Team von Luis de la Fuente den Weg nach vorn, und Lamine Yamal legte in der 47. Minute Nico Williams den Führungstreffer auf.
Oyarzabals finale Pointe
Danach war es englische Resilienz, die Fähigkeit, aus ziemlich wenig ganz plötzlich ganz viel zu machen, in Verbindung mit dem glücklichen Händchen ihres Trainers Gareth Southgate. Cole Palmer, in der 70. Minute eingewechselt, traf in der 73. zum Ausgleich, es war einer der wenigen Momente, in denen die Spanier die Kontrolle über dieses Finale verloren.
Doch für die finale Pointe sorgte dann doch ein Mann in Rot, Mikel Oyarzabal, in der 68. Minute eingewechselt, erzielte in der 86. Minute den Siegtreffer für Spanien. Es war der vierte europäische Titel, ein über das Turnier und über die 90 Minuten vom Sonntagabend betrachtet vollauf verdienter. Für die Engländer hingegen geht die Geschichte der Leiden weiter, den 58 Jahren des Schmerzes seit dem WM-Sieg von 1966 kommen weitere hinzu.
Nachdem der Himmel über Berlin während der kurzen Schlusszeremonie in bunten Nebel getaucht worden war, übernahmen die Roten gleich das Geschehen. Totale Ballkontrolle in den ersten Minuten, in denen England es vorzog, sich auf die Lauer zu legen. Foden engte die Kreise von Rodri ein, Mainoo kümmerte sich um Fabián Ruiz, doch der Versuch, das spanische Zentrum stillzulegen, war nur bedingt erfolgreich.
Es brauchte zwar ein wenig Anlauf für Spanien, das zunächst ebenfalls noch das Risiko mied, aber mit den Pässen wuchs die Zuversicht, Dani Olmo, der gegen Deutschland so wirkungsvoll für Pedri ins Team gerückt war, zeigte sich wieder sehr präsent. Gefahr entstand aber vor allem dann, wenn Nico Williams auf der linken Angriffsseite zum Tanz lud.
Nach zwölf Minuten kam er aus spitzem Winkel zum Abschluss, doch Stones blockte den Schuss. Ein erstes Zeichen, in welche Richtung es hauptsächlich gehen würde an diesem Abend.
Und die Engländer? Sie hatten die atmosphärische Hoheit, so wie auch schon tagsüber in der Stadt. Weiß war die dominierende Farbe, und wenn man das Finale mit englischen Augen sah, konnte man sagen: Alles schien wie gemalt. „Es ist Zeit, es über die Linie zu bringen“, hatte Southgate am Tag vor dem großen Spiel gesagt.
Der Anlauf auf diesen Titel, er habe schon am Tag des Ausscheidens bei der WM in Qatar begonnen. Und auch wenn man sagen muss, dass es kein leichter war, auch nicht für jene, die den quälenden ersten Schritten in Deutschland zusahen, war etwas ins Rollen gekommen.
Seit das Team im Achtelfinale gegen die Slowakei der Blamage auf artistische Weise durch Jude Bellinghams Fallrückzieher gerade noch entkommen war, haben die Engländer begonnen, „ihr wahres Selbst zu zeigen“, wie Southgate sagte, bei dem so vieles nach sanfter Psychologie klingt.
Doch dazu gehört eben auch: Safety first.
Personell hatte Shaw auf der linken Seite den Vorzug vor Trippier erhalten. Aber insgesamt brauchten die Engländer auch diesmal den größeren Anlauf, um ins Spiel zu finden, manches wirkte überhastet, und strukturiertes Angriffsspiel war kaum zu sehen. Aus dem Versuch, schnell umzuschalten, entstanden zwei, drei Situationen, in denen der Funke, von dem die Fans sangen, vielleicht ein Feuer hätte entzünden können, aber daraus wurde nichts, weil die Spanier ihrerseits sich nicht nur als leidenschaftliche Ball-, sondern auch als präzise Raumkontrolleure betätigten.
Williams schockt England nach Wiederanfpfiff
Ihr Trainer de la Fuente hatte am Vorabend gesagt, seine Spieler sollten „die Freude über etwas empfinden, woran sie sich das ganze Leben erinnern werden“. Strategisch forderte er, den bisherigen Weg und Stil beizubehalten. „Wenn wir nicht Spanien sind, haben wir keine Möglichkeit zu gewinnen“, sagte er, „wir müssen die beste Version von uns sein.“ Personell gehörten diesmal wieder die im Halbfinale gesperrten Carvajal und Le Normand dazu, für Jesus Navas und Nacho bedeutete das Bankplätze.
Besonders im Fokus stand Lamine Yamal, auch wegen seines 17. Geburtstags am Vorabend, aber vor allem natürlich wegen seiner Beiträge zum Fußball-Sommerfest. Aber in eine Situation wie jene, als er gegen Frankreich im Halbfinale zum Zauberschuss ansetzte, kam er während der ersten Hälfte noch nicht. Seine rechte Seite war die ungefährlichere der Spanier.
Als die Nachspielzeit gerade begonnen hatte, bot sich überraschend noch Weg für die Engländer, nach einem Freistoß von rechts, doch auch wenn Foden den Ball im Fallen gefährlich Richtung Tor brachte: Unai Simón war zur Stelle. Kurz vorher hatte Rodri einen Schussversuch von Kane geblockt und war dabei mit Laporte kollidiert. Und als die Spieler aus der Kabine kamen, war Rodri nicht mehr dabei, Zubimendi sollte ihn ersetzen.
Doch noch bevor die Engländer etwas aus dieser neuen Konstellation machen konnten, gerieten sie in den Griff der spanischen Flügelzange. Yamal zog von rechts nach innen, eine Schusschance bot sich nicht, aber ein Passweg nach links, in den Lauf von Williams, gegen dessen Flachschuss ins rechte Eck war Pickford machtlos.
Olmo verpasst die Vorentscheidung
Wenig später bot sich Olmo die Chance zu erhöhen, doch sein Schuss ging am Tor vorbei. Die Spanier versuchten nun, für klare Verhältnisse zu sorgen, Morata hatte eine Chance, Williams schoss knapp vorbei, für England sah es nicht gut aus.
Nach einer Stunde nahm Southgate seinen Kapitän Kane vom Feld und brachte Ollie Watkins, jenen Mann also, der im Halbfinale gegen die Niederlande für die späte Entscheidung gesorgt hatte. Und sein Team begann sich gegen die Niederlage zu stemmen.
Noch einmal hätte Yamal für die Vorentscheidung sorgen können, doch dann beging Cucurella einen verhängnisvollen Fehler, indem er zu offensiv verteidigte. Plötzlich hatte Saka auf der rechten englischen Angriffsseite Platz, er fand Bellingham im Zentrum, der nach hinten für Palmer ablegte.
Cucurella machte seinen Fehler dann wieder gut, indem er die Flanke zum Siegtreffer von Oyarzabal schlug. Kurz vor Schluss hatten die Engländer nochmal eine dreifache Kopfballchance, aber ein zweiter Treffer gelang ihnen nicht mehr.