Emmanuel Macrons verwegener Alleingang: Neuwahlen in Frankreich
Frankreich steuert auf eine längere Periode der politischen Instabilität zu. Schon jetzt hat eine seltsame Fiebrigkeit die Politik erfasst. Die ganze Dynamik seit seiner überraschenden Neuwahlentscheidung läuft gegen Präsident Macron. Das ist eine schlechte Nachricht für Deutschland und Europa, für die Ukraine ist sie bitter.
Vergangene Woche hat Macron den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in die Arme geschlossen und dem Land verstärkte Unterstützung – Kampfflugzeuge – versprochen. Bereits in einem Monat könnte ein Wahlsieg der Rechtspopulisten einen Kurswechsel in der französischen Ukrainepolitik nach sich ziehen. Das Rassemblement National (RN) lehnt es ab, die Ukraine in die EU aufzunehmen, und will sich aus dem Krieg weitestgehend heraushalten.
Der Präsident hat zwar Vorrechte in der Außen- und Verteidigungspolitik, ist aber auf eine Zustimmung der Regierung für die Militärhilfe angewiesen. Eine Entsendung von Militärausbildern auf ukrainischen Boden, wie Macron sie erwägt, dürfte mit einer RN-Regierung ausgeschlossen sein.
Siegesgewissheit im Beraterkreis
Macrons „Masterplan Neuwahlen“ wirkt in vielerlei Hinsicht verwegen. Er gründet auf der Annahme, die vernichtende Niederlage seiner Partei bei der Europawahl sei auf einen vorübergehenden Wutanfall der Wähler zurückzuführen. Binnen drei Wochen würden sie zur Vernunft kommen und Macron eine Parlamentsmehrheit zurückerobern können. Der kleine Beraterkreis um den Präsidenten, der den Plan ausgeheckt hat, strotzt vor Siegesgewissheit.
Doch darf bezweifelt werden, dass eine Trendwende bis Ende Juni möglich ist. Nur in der Hauptstadt Paris haben die Rechtspopulisten nicht den Spitzenplatz erobert. Aber überall sonst im Land, auch in der europafreundlichen Bretagne, erhielt der RN die meisten Stimmen. Unter den praktizierenden Katholiken hat erstmals eine Mehrheit für die Rechtspopulisten gestimmt. Die Hemmschwellen sind auch bei den Rentnern geschwunden, eine Wählergruppe, die Le Pen lange ablehnte.
Berechtigter ist die Frage, welche Alternativen Macron nach der schweren Abstrafung blieben. Es gab andere Wege, die man mit kühlem Kopf und konzertiert hätte begehen können, worauf die Präsidentin der Nationalversammlung hingewiesen hat. Doch Macron hat im Alleingang entschieden. Deshalb verwundert es nicht, dass selbst sein getreuer Premierminister das Vorgehen als „brutal“ bezeichnet hat.
Wird das Land unregierbar?
Auf eine tragfähige Regierungskoalition mit den zerstrittenen Republikanern konnte Macron nicht hoffen. Die Schwesterpartei von CDU/CSU spaltet sich gerade weiter über die Frage eines Wahlpakts mit Le Pens Partei. Auf der Linken wiederum gelingt es den gemäßigten Kräften nicht, sich dem Sog der radikalen, russlandfreundlichen und propalästinensischen Linkspartei zu entziehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frankreich nach dem Wahltermin unregierbar wird, ist groß.
Die Krise hat sich lange angebahnt. Es war nie leicht, Frankreich zu regieren. Aber die Entfremdung zwischen Macron und dem Land hat sich beständig vergrößert. Konflikte wie der Gewaltausbruch in den Vorstädten, die Bauernblockaden oder der Zorn über die Rentenreform spielten Le Pen in die Hände. Die Forderung nach vorgezogenen Parlamentswahlen zieht sich wie ein roter Faden durch Macrons zweite Amtszeit. Mehr als zwanzig Misstrauensabstimmungen gab es. Im Herbst drohte die Minderheitsregierung ohnehin über die Haushaltsplanung zu stürzen. Die Hängepartie hat der Präsident jetzt beendet.
Sollten die Rechtspopulisten gewinnen, glaubt Macron dennoch, Herr der Lage zu bleiben. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versuchte er mit der Aussicht zu beruhigen, er werde die Regierung unter einem Premierminister Jordan Bardella „entzaubern“ und ihre Inkompetenz vorführen. 2027 seien die Franzosen dann so ernüchtert, dass Le Pen keine Wahlchancen mehr habe. Ob der Plan wirklich so „smart“ ist, wie es etwa der frühere IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard glaubt, muss sich zeigen. Die Hindenburg-Fraktion ist in Paris nicht sehr groß. Viele erinnert das Vorgehen mehr an den britischen Premierminister David Cameron, der es 2013 für besonders smart hielt, den Antieuropäern mit einem Referendum den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Es ist nur folgerichtig, dass es den überzeugten Europäer Macron nicht kaltlässt, den Rückhalt für sein europäisches Projekt verloren zu haben. Der Präsident war als oberster Wahlkämpfer aufgetreten, hielt eine zweite Europarede an der Sorbonne, gab Interviews und warnte zuletzt in Dresden vor einem Rechtsruck. Sein Foto überstrahlte das der Spitzenkandidatin auf den Wahlplakaten. Sein Satz, dass Europa sterblich sei, blieb hängen. Man ahnte allerdings nicht, dass ausgerechnet aus Frankreich der Todesstoß kommen könnte.