Für die Wirtschaft ist die Energiewende gescheitert
Die Unzufriedenheit der deutschen Wirtschaft mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung im Allgemeinen und der Energiepolitik im Speziellen hat einen neuen Höchststand erreicht. Nach einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter 3300 Unternehmen planen 37 Prozent der Industriebetriebe, ihre Produktion im Inland einzuschränken beziehungsweise ins Ausland zu verlagern, oder machen dies bereits.
Vor zwei Jahren betrug der Anteil noch 21 Prozent. Besonders groß ist der Anteil der Abwanderungswilligen unter Industriebetrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern: 51 Prozent wollen ihre Aktivitäten in Deutschland einschränken, 14 Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren.
Als Haupttreiber für diese Entwicklung sieht der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks die Energiewende. „Andere Länder haben eine glaubwürdigere Strategie“, sagte er am Donnerstag vor Journalisten in Berlin. Dercks verwies auf die skandinavischen Länder, die Strom aus Atom- und Wasserkraft erzeugten. „Da vertrauen die Unternehmen drauf, dass das auch 2030 funktionieren wird.“ Auch in Frankreich mit seinem – staatlich günstig gehaltenen – Atomstrom seien die Rahmenbedingungen besser. „In Deutschland ist für die Unternehmen kein Konzept ersichtlich“, so Dercks.
„Deindustrialisierung findet nicht von heute auf morgen statt“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht das anders. Sein Ministerium hat kürzlich eine Kraftwerksstrategie vorgelegt, mit der neue Gas- beziehungsweise Wasserstoffkraftwerke entstehen sollen, um in Zeiten mit wenig Wind und Sonne die Stromversorgung zu sichern. In anderen Strategiepapieren werden der Aufbau des Wasserstoffnetzes und der Import dieses Energieträgers umrissen. Die DIHK hält dagegen: Die Versorgung mit Wasserstoff sei unsicher und die Reservekraftwerke zur Stromerzeugung trieben die Energiekosten weiter in die Höhe.
Nach Ansicht von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sind die Klagen der Wirtschaft übertrieben. Dercks sagte dazu, die Verweise auf die gesunkenen Preise an der Strombörse seien „Tricksereien“, mit denen die Ampelkoalition ihre Erzählung eines grünen Wirtschaftswunders zu stützen versuche. „Aber die Unternehmen sehen: Die Wettbewerber in anderen Ländern haben niedrigere Preise.“ Vor einigen Jahren hätten viele Unternehmen die Energiewende noch als Chance gesehen. Inzwischen werde sie vor allem als Risiko wahrgenommen. „Deindustrialisierung findet nicht von heute auf morgen statt“, warnte Dercks. „Sie vollzieht sich schleichend.“
“Strompreise Problem für Arbeitsplätze in Industrie“
Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der Gewerkschaft IG Metall, pflichtete ihm bei. „Die DIHK-Untersuchung zeigt erneut, was längst auf der Hand liegt: Die Strompreise in Deutschland sind ein Problem für die Arbeitsplätze in der Industrie“, sagte Kerner der Deutschen Presse-Agentur. Der DIHK hat nicht abgefragt, wie viele Unternehmen ihre Produktion in Deutschland tatsächlich eingeschränkt haben und wie viele dies nur erwägen. Dass es sich nicht nur um Drohungen handele, zeigten die vielen Einzelmeldungen der vergangenen Wochen. Für Aufsehen sorgte da unter anderem der Abbau von bis zu 14.000 Arbeitsplätzen beim Autozulieferer ZF. Auch der Autohersteller Volkswagen und der Chemiekonzern BASF bauen Stellen ab. Nach einer im Frühjahr vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) veröffentlichten Rechnung summierten die Netto-Investitionsabflüsse aus Deutschland sich in den vergangenen drei Jahren auf mehr als 300 Milliarden Euro. Das IW sprach von „ersten Symptome einer Deindustrialisierung“. Ökonomen zeigen sich besorgt über den jüngsten Anstieg der Arbeitslosenzahlen.
Kanzleramt, Wirtschafts- sowie Finanzministerium hatten Anfang Juli ein Wachstumspaket vorgestellt, das die – von der Bundesregierung zuletzt auf 1,0 Prozent geschätzte – Wachstumsrate im kommenden Jahr um 0,5 Prozentpunkte anheben soll. Etliche Punkte wie mehr Druck auf Bürgergeldempfänger und der Steuerbonus für ausländische Fachkräfte sind jedoch in der Regierungskoalition umstritten. Angesichts der Meldung diese Woche, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal gesunken ist, mahnte Habecks Sprecher, alle Ministerien, Bundestag und Bundesrat müssten „an einem Strang ziehen“. Die DIHK verbindet mit dem Wachstumspaket wenig Hoffnungen. „Wir sehen nicht, dass das ein Potentialwachstum von 0,5 Prozent bringt“, sagte Dercks. Bei manchen Punkten sei unklar, ob sie kämen, andere brächten wenig. „Zumindest zeigt das Paket, dass die Bundesregierung Handlungsbedarf sieht.“ Das sei auch schon ein Erfolg.