Interview mit dem Aurubis-Aufsichtsratschef: „Es geht um mafiöse Strukturen“
Herr Vahrenholt, Diebstähle und Betrug im großen Stil haben Aurubis in die Schlagzeilen gebracht. Denken Sie, dass es in anderen Unternehmen ähnlich kriminell zugeht, ohne dass es öffentlich wird?
Das ist nicht auszuschließen. Es geht um eine neue Art von Kriminalität. Bandenkriminalität. Mafiöse Strukturen. Uns wurden beispielsweise Katalysatoren geliefert, deren Metallgehalte wurden anschließend in unserer Probenahme manipuliert. Letztlich haben wir dann zu viel bezahlt. Das konnte nur funktionieren, weil es in unserem Unternehmen quasi „Schläfer“ gab, die diese organisierte Kriminalität unterstützt haben. Und dann gab es ja noch Mitarbeiter, die Edelmetalle in Form von Zwischenprodukten aus dem Unternehmen geschleust haben. Dahinter stand eine türkische Bande, die ihren verlängerten Arm in unserem Unternehmen hatte. Jetzt ist ein Drittel unseres Ertrages weg. Jeder Unternehmenschef ist gut beraten, diese Lektion, die der Aurubis erteilt wurde, ernst zu nehmen.
Was ist Ihr Rat? Wo sind die wichtigsten Fallen in einem Unternehmen?
Wir werden uns alle damit noch stärker auseinandersetzen müssen, wie wir Bandenkriminalität verhindern können. Wir haben unsere Antworten gefunden und ein umfassendes Sicherheitskonzept aufgesetzt. Wenn man vor zwei oder drei Jahren gesagt hätte, wir wollen bei Neueinstellungen die Vita der Bewerber durchleuchten und ihre Beziehungen, dann hätte der Betriebsrat sich quergestellt. Aber wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass es Änderungen gibt in der Art, wie wir Mitarbeiter für sensible Bereiche auswählen. Oder dass wir mehr Kameras und Scanner an den Werkstoren brauchen. Dass das nötig ist, hat sich vergangene Woche gezeigt: Da haben wir einen Mitarbeiter gefasst, der 30 Kilogramm eines Zwischenprodukts im Rucksack hatte. Das hört sich erst mal wertlos an, aber da ist eine Menge Gold und Silber drin. Und wenn so etwas öfter passiert, dann geht uns schnell eine Million Euro verloren. Da werden wir reagieren müssen, und andere Unternehmen sollten auch reagieren.
Die Täter waren ja weiter bei Aurubis beschäftigt, auch nachdem der groß angelegte Betrug entdeckt wurde. Weiß man inzwischen, wer Aurubis da so systematisch ausgenommen hat?
Im Fall des Diebstahls haben wir in Abstimmung mit den Ermittlerbehörden die Mitarbeiter zunächst weiterbeschäftigt, um die Täter dingfest zu machen. Sie stehen jetzt vor dem Landgericht, und alle sechs haben inzwischen ein Geständnis abgelegt. In den anderen Fällen können und dürfen wir aufgrund der laufenden Untersuchungen noch nichts Konkretes sagen.
Gibt es schon ein umfassendes Sicherheitskonzept?
Der Vorstand hat sofort eine Taskforce gebildet. Zudem wurden externe Experten, Forensiker, eingeschaltet. Das Wichtigste ist die Früherkennung. Täglich kommen und gehen Dutzende Lastwagen voller Material in unsere Werke, da werden wir noch mehr kontrollieren. Gleichzeitig müssen wir die Mitarbeiter ermutigen, aufmerksamer zu sein. Wir gehen mit großen Werten um.
Drei Vorstände müssen jetzt vorzeitig das Unternehmen verlassen. Was haben sie falsch gemacht?
2023 war in vielfacher Hinsicht ein schwieriges Jahr für Aurubis. Vorstände treffen jeden Tag eine Vielzahl von Einzelentscheidungen über komplexe Sachverhalte. Der Aufsichtsrat hat diese Entscheidung in einer Gesamtbetrachtung der schwerwiegenden Vorkommnisse des vergangenen Jahres getroffen. Und ich war ja mal Senator in Hamburg und kenne das von daher: Wenn etwas schiefgeht, muss man die politische Verantwortung tragen, unabhängig von persönlicher Schuld.
Drei von vier Vorständen innerhalb kurzer Zeit zu ersetzen ist aber auch ein ziemlicher Stresstest für ein Unternehmen . . .
Wir halten es für realistisch, dass wir sechs bis neun Monate brauchen, bis wir einen neuen Vorstandsvorsitzenden haben. Ich habe großes Vertrauen in Roland Harings, dass er bis Ende September für Aurubis kämpft und sich einsetzt wie bisher. Und bedenken Sie: Wir haben auf der Ebene unterhalb des Vorstands rund 30 hochkarätige Manager, die das Tagesgeschäft verantworten.
Werden die Vorstandsposten aus dem Unternehmen besetzt?
Prinzipiell ist das möglich. Die internen Kandidaten müssen sich natürlich an externen Bewerbern messen lassen und umgekehrt. Personalberater sind engagiert, um die Positionen CEO und CFO neu zu besetzen.
Ihre Entscheidung über die Demission von drei Vorständen beruht auf einem Rechtsgutachten der Kanzlei Hengeler Mueller. Werden Sie das eines Tages veröffentlichen?
Alle notwendigen Informationen, alle unsere Vorstandsunterlagen bis hin zu elektronischen Informationen wurden den Juristen zur Verfügung gestellt. Aber das Gutachten bleibt im Sicherheitsausschuss des Aufsichtsrats.
Was hat das Gutachten gekostet?
Nun, da hat seit September ständig ein Team von Anwälten dran gearbeitet. Außerdem haben wir ja auch noch die Beratungsgesellschaft EY beauftragt, unsere Abläufe auf Sicherheitslücken zu untersuchen. Insgesamt dürfte das für alle Untersuchungen einen niedrigen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag gekostet haben.
Gesetzt den Fall, Herr Harings hätte die Millionen bei seinem Amtsantritt vor knapp fünf Jahren für mehr Sicherheit eingesetzt: Wäre dann die Lage heute besser?
Es gibt Lösungen, die können Sie über Prozessverbesserungen erreichen, und andere nur über Investitionen. Aurubis investiert in Hamburg rund 300 Millionen Euro in eine neue Edelmetallverarbeitung mit umfassendem Sicherheitskonzept. Aber Geld allein hilft nicht, um Kriminalität zu verhindern. Wir müssen die Sicherheitskultur aller Beschäftigten verändern.
Sie hatten vorhin selbst schon ein Stichwort genannt: Es geht auch um das Bewusstsein der Mitarbeiter. Braucht Aurubis eine andere Unternehmenskultur?
Ja. Seit Jahren gibt es beispielsweise eine Whistleblower-Hotline bei Aurubis. Nun muss man ein starkes Bewusstsein, eine Bereitschaft schaffen, dass sie auch intern genutzt wird. Dass sich jeder dort meldet, wenn ihm etwas Ungewöhnliches auffällt oder ein eigenartiges Verhalten. So wie eben im Fall des in der vergangenen Woche geschnappten Diebs. Die Mitarbeiter und Führungskräfte haben verstanden: Es geht um ihr Unternehmen, um ihren Ruf und um ihre Integrität. Sicherheit muss trainiert werden. Das Gleiche gilt für Arbeitssicherheit. Und Arbeitssicherheit darf nie als lästige Pflichtübung gesehen werden, so nach dem Motto: Ist doch immer gut gegangen.
Wie sehen Sie denn die Rolle des Aufsichtsrats? Hätten Sie nicht auch früher bemerken sollen, dass bei Aurubis so Vieles im Argen liegt?
Sicherheit ist erst einmal eine operative Aufgabe und damit Sache des Vorstands. Der Aufsichtsrat ist dafür verantwortlich, den Vorstand zu kontrollieren, zu überwachen und zu beraten. Als der erste Hinweis kam, dass etwas mit der Inventur nicht stimmt, haben wir im Aufsichtsrat sofort den Sicherheitsausschuss gebildet. Ich bin ja ein Aurubis-Urgestein, seit 1999 im Aufsichtsrat, ein Vierteljahrhundert. Ja, 2022/23 war das schlimmste Jahr meiner Aurubis-Zeit. Aber es muss auch einmal festgehalten werden, dass Aurubis trotz allem das drittbeste Ergebnis der Unternehmensgeschichte im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschaftet hat.