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Kommentar: Putin steht in Stalins Tradition

Kommentar: Putin steht in Stalins Tradition

Wladimir Putin hat gute Aussichten, länger zu herrschen als Josef Stalin. Am Ende der neuen sechsjährigen Amtszeit, für die er sich in der Scheinwahl nun bestätigen ließ, wird Putin 31 Jahre an der Macht sein. Stalin hat die Geschicke der Sowjetunion von 1924 bis zu seinem Tod 1953 bestimmt. Während dieser 29 Jahre hat er viele Millionen seiner Landsleute töten und in Lagern quälen und ausbeuten lassen.

Der Massenterror unterscheidet Putin von Stalin. Russlands Präsident lässt nicht wahllos Untertanen einsperren und töten, sondern geht gezielt gegen politische Gegner und Leute vor, die er als „Verräter“ bezeichnet. Unter Stalin konnte es tödlich sein, zu wenig Begeisterung für den Herrscher zu zeigen. In Putins Russland bleibt in der Regel unbehelligt, wer sich politisch neutral verhält.

Während Stalin offen Krieg gegen das eigene Volk führte, gestattet Putin der großen Mehrheit der Bevölkerung ein einigermaßen ruhiges Leben. Das gilt selbst jetzt noch: Der Krieg gegen die Ukraine wird vom Alltag jener Menschen ferngehalten, die nicht unmittelbar daran beteiligt sind. In Putins Rede an die Nation drei Wochen vor der Wahlfarce nahmen teure Versprechen zur Modernisierung der In­frastruktur und umfangreichen ­Sozialleistungen den bei weitem größten Raum ein.

Putin bagatellisiert Stalins Verbrechen

Stalins Regime wurde von fanatischen Gläubigen einer revolutionären Ideologie getragen, die mit radikalen Methoden in eine hell leuchtende Zukunft führen sollte. Putin dagegen bezog seine Legitimität in der ersten Hälfte seiner Herrschaft aus dem – aus Sicht sehr vieler Russen erfüllten – Versprechen, nach einer Zeit der Umwälzungen und des Chaos nach dem Untergang der Sowjetunion wieder Ruhe und Normalität zu schaffen.

Trotz dieser deutlichen Unterschiede steht Putin in Stalins Tradition. Die schleichende Rehabilitierung des sowjetischen Massenmörders, die in Russland seit vielen Jahren stattfindet, entspringt einem ähnlichen Verhältnis beider Herrscher zu Macht und Gewalt. Putin bagatellisiert Stalins Verbrechen mit dem Argument, dieser habe Russland nach dem Zerfall des Zarenreichs und den Wirren der bolschewistischen Revolution wieder zu einer Großmacht gemacht. Die Parallele zur offiziellen Darstellung seiner eigenen Politik ist offensichtlich.

Das Leben und die Rechte der eigenen Untertanen und der Bürger anderer Länder sind für Putin wie für Stalin eine Verfügungsmasse, derer er sich zur Erreichung seiner politischen Ziele bedienen kann. Skrupellose Anwendung von Gewalt ist seit Beginn ein Merkmal von Putins Herrschaft. In den meisten seiner Jahre an der Macht hat er Kriege geführt, in denen auf die Zivilbevölkerung keine Rücksicht genommen wurde – in Tschetschenien (immerhin ein Teil Russlands), Georgien, Syrien und seit mittlerweile zehn Jahren in der Ukraine.

Putins Regime radikalisiert sich

Beim Einsatz von Repression und Gewalt ist Putin jedoch viele Jahre ein kühler Pragmatiker gewesen, der im Gegensatz zu Stalin beides genau dosiert hat. Weil es von den Russen erwartet wurde und für den internationalen Auftritt half, hat er an der Fassade einer Demokratie festgehalten. Opposition und kritische Medien wurden zwar unter einen stetig wachsenden Druck gesetzt, bis vor wenigen Jahren aber nicht verboten. In Strafverfahren gegen Regimegegner wurden den Angeklagten bis dahin keine politischen ­Vergehen vorgeworfen, sondern gewöhnliche Kriminalität.

Doch Putins Regime radikalisiert sich. Seit dem Großangriff auf die Ukraine vor zwei Jahren ist Russland zu einer unverhüllten Diktatur geworden, in der es keine kritischen Medien und keine organisierte Opposition mehr gibt und jeder Widerspruch im Keim erstickt wird. An Schulen und Hochschulen wurden ideologische Unter­richtsfächer eingeführt, in denen gefordert wird, sich zum Regime und dessen Krieg zu bekennen. Die Hetze gegen angebliche Feinde Russlands ist so hemmungslos und hysterisch ge­wor­den, dass sie an die Propaganda der Stalin-Zeit erinnert.

Die ideologische und wirtschaftliche Mobilisierung für einen epischen Krieg Russlands gegen den Westen kollidiert jedoch mit dem bisherigen Bestreben des Kremls, im Namen der Stabilität die Politik vom Leben der passiven Mehrheit fernzuhalten. Dieser innere Widerspruch war auch in der Kampagne vor der Wahlimitation am Wochenende zu beobachten; sie war offensichtlich darauf ausgelegt, die Russen nicht zu beunruhigen. Von der Abstimmung hing weder für Russland noch für den Rest Europas etwas ab – der Sieger stand ohnehin fest, das angebliche Ergebnis spielt keine Rolle.

Interessant ist nur, ob Putin glaubt, danach keine Rücksicht mehr auf die eigene Bevölkerung nehmen zu müssen. Davon hängt das Ausmaß der Zerstörungen ab, die er noch anrichten wird, bis er gestürzt wird oder wie Stalin als Herrscher stirbt.

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