Kommentar zu den US-Wahlen: Sicherheit ohne Amerika
In Europa, gerade auch in Deutschland, herrscht immer noch ein grundsätzliches Missverständnis über Trump. Der Isolationismus, den der frühere Präsident zum außenpolitischen Programm gemacht hat, ist keine Grille eines egomanischen Nationalisten. Sie hat tiefe Ursachen, die hier nur in einer sehr provokanten und ungehobelten Art zum Ausdruck kommen.
Schon gar nicht sollte man darauf setzen, dass Trump von den Realitäten der Weltpolitik eingehegt würde, falls ihm der Wiedereinzug ins Weiße Haus gelingen sollte. Das hat schon in seiner ersten Amtszeit kaum geklappt.
In Wirklichkeit war Trumps Erscheinen auf der politischen Bühne für Europa ein Problem mit Ansage. Schon vor mehr als zehn Jahren, im Juni 2011, hielt der damalige amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates in Brüssel eine Abschiedsrede, in der er die Verbündeten davor warnte, dass die amerikanische Politik bald nicht mehr bereit sein werde, für die Sicherheit Europas aufzukommen.
Er wies darauf hin, dass der künftigen politischen Führung seines Landes die prägende Erfahrung des Kalten Krieges fehle und sie immer weniger einsehen werde, amerikanisches Steuergeld für die Sicherheit von Ländern auszugeben, die ihre eigenen Verteidigungsausgaben stark zurückgefahren haben.
Eine prophetische Rede
Gates hatte wohl nicht an Trump gedacht, denn der stammt noch aus seiner Generation und galt damals sicher nicht als ernst zu nehmender Anwärter auf das Präsidentenamt. Trotzdem war die Rede prophetisch. Sie nahm eine Argumentation vorweg, die heute hauptsächlich, aber nicht nur in der Republikanischen Partei verbreitet ist.
Amerika es für immer und ewig richten wird.
Dafür gäbe es nicht einmal eine Garantie, sollte Biden die Wahl im November gewinnen. Bliebe der Kongress gespalten, dann dürfte es mit der Ukrainehilfe weiter schwierig werden. Schon die aktuelle Blockade ist nicht nur Ausdruck eines parteipolitischen Konflikts, sondern auch einer veränderten Prioritätensetzung in Washington.
Besonders deutlich wird das im Fall Israels. Dass der Kongress sich nicht auf ein Hilfspaket für diesen traditionellen und tief mit der amerikanischen Gesellschaft verbundenen Partner einigen kann, wäre noch vor ein paar Jahren unvorstellbar gewesen.
Im Kern sind das Symptome einer strukturellen Veränderung, die durch Trump nur beschleunigt wurde: Amerika kann die Rolle des Weltpolizisten nicht mehr ausfüllen. Es gibt zu viele Brandherde und zu viele Widersacher, die selbst an Macht gewonnen haben, militärisch wie wirtschaftlich. Der Fokus auf China, den Biden von Trump übernommen hat, ist in Wirklichkeit eine Selbstbeschränkung.
In dieser Lage hat Europa die Wahl zwischen zwei Wegen: die Unterordnung unter Russland, wie es etwa die AfD will, oder die Selbstbehauptung in einer Welt, die nicht im Ansatz so „regelbasiert“ ist, wie man das in Deutschland gerne hätte. Beide Wege sind mit hohen Kosten verbunden, aber nur einer führt in die Freiheit.