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Präsident in der Krise: Bidens Leistungstest beim NATO-Gipfel

Joe Biden versuchte, die Angriffe wegzulächeln. Ob die Delegierten auf dem Parteitag der Demokraten frei seien, einen anderen Kandidaten zu wählen? Natürlich seien sie das, sagte er. Er verfüge aber über „überwältigende Unterstützung“. Wenn der Parteitag im August in Chicago einen anderen Kandidaten aufstellen wolle, sei das ein „demokratisches Verfahren“. Dann flüsterte der Präsident ins Mikrofon, was er immer tut, wenn er eine Pointe setzen will: „Es wird nicht passieren.“

Ja, Biden hustete in der Pressekonferenz anfänglich viel. Auch musste er mehrfach ein „wie dem auch sei“ einsetzen, wenn er sich sprachlich zu verheddern drohte. Doch blieben am Donnerstagabend in der mehrfach nach hinten verschobenen Abschlusspressekonferenz des Präsidenten nach dem dreitägigen NATO-Gipfel große Patzer aus. Biden changierte zwischen demonstrativ gelassen und kämpferisch und ging nach knapp einer Stunde mutmaßlich erleichtert von der Bühne des Kongresszentrums in Washington.

Trump statt Harris, Putin statt Selenskyj

Wohl noch nie ist ein amerikanischer Präsident derart „gegrillt“ worden, was seine geistigen Fähigkeiten anbelangt. Eine Pressekonferenz als kognitiver Leistungstest. Auf die Frage, ob er zu einem solchen bereit wäre, sagte er, wenn seine Ärzte ihn für nötig hielten – ja! Das sei aber nicht der Fall.

Zwei Versprecher gab es wohl: Einen ganz zu Beginn der Begegnung mit der Presse, und einen kurz vorher. Am Anfang des Frage-Antwort-Spiels, in dem Biden ohne Teleprompter auskommen musste, wurde er danach gefragt, wie Kamala Harris sich gegen seinen Rivalen Donald Trump schlagen würde. In der Antwort sprach er dann von „Vizepräsident Trump“. Eigentlich hatte er sagen wollen, er hätte Vizepräsidentin Harris nicht ausgewählt, wenn sie nicht für das Präsidentenamt geeignet wäre.

Vor der Pressekonferenz hatte Biden zum Abschluss des NATO-Gipfels den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj schon versehentlich als „Präsident Putin“ vorgestellt und sich dann selbst schnell korrigiert. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte später, Versprecher passierten. Über Bidens Verhaltens in den nichtöffentlichen Arbeitssitzungen des Gipfels berichteten Anwesende hernach, der Präsident habe alles, was er sagte, vom Zettel abgelesen – und mit der Zeit „abgebaut“. Vor den Journalisten hob Biden hervor, dass er sich nach seinem Putin-Versprecher sogleich korrigiert habe. Und dass der NATO-Gipfel ein großer Erfolg gewesen sei, könne keiner bestreiten. Es solle keine Schutzbehauptung sein, sagte er weiter: Aber die wiedererlangte Stärke NATO nach Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine sei auch sein Verdienst.

Bidens Würde ist irreversibel beschädigt

Politische Strategen der Demokraten hatten vor der Pressekonferenz geäußert, die nächsten 48 Stunden seien entscheidend für Bidens Zukunft. Ranghohe Parteivertreter hatten in den vergangenen Tagen versucht, die Debatte über den Präsidenten vorübergehend  herunterzudimmen, um den Gastgeber des NATO-Gipfels nicht zu blamieren. Zudem hatten Beobachter gesagt, selbst eine fehlerfreie „Performance“ werde die Debatte in der Partei nicht beenden. Das Problem am Donnerstag war nicht Bidens Auftritt, sondern die Tatsache, dass die Pressekonferenz unabhängig von Bidens Leistung eine Demütigung für den Präsidenten war. Hart formuliert: Die Würde des Amtsinhabers ist irreversibel beschädigt.

Bidens Leute hatten ihm „punchlines“ mit auf den Weg gegeben – Zitate, die sich bestenfalls später in den sozialen Medien als Beleg für seines Kampfeswillen verbreiten sollten.

Frage: Ob er sein politisches Vermächtnis nach Jahrzehnten in der Politik nicht durch eine abermalige Kandidatur selbst beschädige?
Antwort: Es gehe nicht um sein Vermächtnis. Es gehe darum, die Arbeit zu erledigen.

Frage: Er habe vor Amtsantritt gesagt, er verstehe sich als „Brücke“ zu einer neuen Generation. Was sich geändert habe?
Antwort: Was sich geändert habe, sei der „Ernst der Lage“, den er im Amt vorgefunden habe – was die Wirtschaft, die Außenpolitik und die Spaltung im Land anbelange.

Frage: Ob er den Belastungen des schwersten Jobs der Welt weitere vier Jahre gewachsen sei? Es heiße doch, er solle jetzt stets um acht Uhr ins Bett?
Antwort: Das stimme nicht. Sein Tag erstrecke sich weiterhin von sieben Uhr morgens bis Mitternacht. Man möge sich nur seinen Terminkalender seit seinem „dummen Fehler“ in der Fernsehdebatte mit Trump anschauen. Er werde so weiter machen. Er müsse es einfach ein wenig ruhiger angehen lassen. Sodann: Er möge seine Mitarbeiter. Aber sie neigten dazu, immer wieder neue Termine in seinen Kalender hinzuzufügen.

Frage: Wie er die wachsende Zahl der Skeptiker im Kongress überzeugen wolle, dass er das Zeug für die Aufgabe habe?
Antwort: Man möge ihn auf seinen nächsten Wahlkampfauftritten beobachten.

Sogar langjährige Berater zeigen sich inzwischen skeptisch

Vor der Pressekonferenz waren gleichsam stündlich schlechte Nachrichten im Weißen Haus eingegangen. Die „New York Times“ berichtete, dass langjährige Berater Bidens inzwischen auch zu der Überzeugung gelangt seien, dass der Präsident keine zweite Amtszeit anstreben und seinen Wahlkampf beenden sollte. Untereinander hätten die Vertrauten in den vergangenen Tagen darüber beraten, wie man Biden überzeugen könne, den Schritt zu tun. Die Zeitung bezog sich auf Leute, die mit den Gesprächen vertraut seien. Man wolle ihn davon überzeugen, dass ein anderer Kandidat, womöglich Vizepräsidentin Harris, Trump schlagen könne. Das Weiße Haus dementierte den Bericht prompt: Dies sei „eindeutig nicht wahr“, sagte ein Sprecher.

Hakeem Jeffries, der Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, kündigte am Donnerstag zudem im Kongress an, die Meinung von jedem Mitglied seiner Fraktion über Bidens Zukunft hören zu wollen. Dann werde die Fraktionsführung klären, was der nächste Schritt sei. Zuvor hatte er zugesagt, dem Präsidenten die Bedenken seiner Abgeordneten vorzutragen. Jeffries ist ein enger Vertrauter Nancy Pelosis, der früheren Sprecherin der ersten Kongresskammer. Diese war zuletzt auf Distanz zu Biden gegangen. Sie hatte gesagt, sie ermutige ihn, die Entscheidung darüber zu treffen, ob er antrete. Die Zeit sei knapp. Biden hatte da längst gesagt, dass er im Rennen bleiben werde. Am Donnerstag hieß es, Pelosi habe sich mit Barack Obama über Bidens Aussichten unterhalten.

Im Senat war es am Donnerstag zu einem Treffen der Demokraten mit Beratern des Präsidenten gekommen. Später hieß es, diese hätten keine neuen Umfragen geliefert, sondern einfach nur darauf verwiesen, welche Wahlkampfreisen und Medienauftritte Biden in nächster Zeit plane. Ein Senator, der Biden zuvor zum Rückzug aufgefordert hatte, sagte hernach, er habe seine Meinung nicht geändert. Andere Skeptiker hatten nicht an dem Treffen teilgenommen.            

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