Reiten bei Olympia 2024: Jessica von Bredow-Werndl im Interview
Frau Bredow-Werndl, vor 14 Jahren wären Sie während eines Badeurlaubs auf Sardinien fast ertrunken, als eine Unterströmung Sie vom Strand wegtrieb. Ihr Mann Max konnte Sie in letzter Minute an Land ziehen. Inwiefern hat sich Ihre Sicht auf das Leben durch diesen Vorfall verändert?
Das Ereignis hat mein Leben extrem beeinflusst. Ich sehe es als zweite Chance und habe mich seither viel mehr mit mir und meinem Sein auseinandergesetzt. Was sich alles in mir verändert hat, ist schwer in ein paar Worten auszudrücken.
Ihr Olympiasieg 2021 kam für viele Menschen überraschend. Diesmal gelten Dalera und Sie als Favoritinnen auf die Goldmedaille. Wenn Sie sich und Dalera mit damals und heute vergleichen, inwiefern haben Sie sich seit dem und vielleicht auch durch den Olympiasieg weiterentwickelt?
Dalera und ich sind noch weiter zusammengewachsen. Wir wissen, was wir aneinander haben, und können uns aufeinander verlassen. Wir beide haben uns weiterentwickelt. Ich bin die letzten Jahre noch achtsamer und bewusster geworden. Auch das Mamasein fordert immer wieder absolute Präsenz. Und das kann ich mit in den Sattel nehmen.
Auf den Favoriten lastet meist ein großer Erwartungsdruck. Bei der EM im vergangenen Jahr haben Sie dem standgehalten und zwei Goldmedaillen gewonnen. Wie gelingt es Ihnen, sich von Druck und Erwartungen, den eigenen wie denen von außen, freizumachen?
Zum Glück darf ich jetzt schon seit einiger Zeit üben, mit Druck umzugehen. Am Ende ist der Druck so groß, wie ich ihn mir selbst mache. Ich kann nicht mehr tun, als mein Bestes zu geben. Und das tue ich immer. Trotzdem können Fehler passieren, trotzdem weiß ich nicht, ob ich an Tag X, im entscheidenden Moment alles beieinander haben werde. Was ich aber weiß ist, dass ich mein Bestes geben werde und ich weiß auch, dass Dalera das tut.
Welche Chancen rechnen Sie dem deutschen Team in Paris in der Mannschaftwertung aus und wie stark schätzen Sie die Konkurrenz ein?
Die Konkurrenz ist stärker denn je. Sie kommt in erster Linie aus Dänemark und England. Das wird schwer, die Goldmedaille im Team zu bekommen. Aber ich halte es für möglich.
Ich war geschockt! Und auch wütend. Das, was da passiert ist, macht mich traurig und wirft wieder ein falsches und schlechtes Licht auf unseren eigentlich so schönen Sport. Es geht um Partnerschaft, um Vertrauen und genauso wenig wie ich meine Kinder für irgendwelche Erziehungsmaßnahmen schlagen würde, würde ich Tiere schlagen.
Welche persönlichen Ziele haben Sie für Paris?
Am Ende möchte ich sagen können: besser geht’s nicht. Und dann ist es gut genug. Zu leugnen, dass ich das, was ich in Tokio geschafft habe, mit Dalera wiederholen möchte, wäre nicht richtig.
Ein großer Wunsch Ihres Bruder Benjamin und Ihnen war es, gemeinsam in Paris anzutreten. Die Chancen standen in diesem Jahr gut, bis sich Famoso, das Pferd Ihres Bruders, bei einem Unfall auf der Weide tödlich verletzte. Sie bezeichnen Ihren Bruder als einen Ihrer wichtigsten Ratgeber, als Teil Ihres Erfolgs. Wie konnten Sie ihm in dieser schlimmen Situation helfen und wie hat er Ihnen auf dem Weg nach Paris geholfen?
Mein Bruder und ich sind wirklich sehr eng und wissen einander in jeder Hinsicht zu schätzen. Klar, streiten wir auch mal wie normale Geschwister. Aber wir wissen beide sehr, was wir aneinander haben. Die Aufgaben in Aubenhausen sind unter uns klar aufgeteilt. Mein Bruder ist verantwortlich für unsere Kunden und den Verkauf, ich kümmere mich um das Personalmanagement. Wir sind also Geschwister, Freunde, Trainings- und Unternehmenspartner in einem. Der Verlust von Famoso hat uns alle zutiefst betroffen. Das zeigt auch, wie schnell alles vorbei sein kann und das macht auch demütig. Ich bin jeden Tag sehr dankbar über die Gesundheit meiner Familie und der Pferde.
Dank Ihrer konstant starken Leistungen waren Sie frühzeitig für Paris gesetzt und durften die letzte Sichtung beim CHIO Aachen aussetzen. Fehlt Ihnen damit nicht ein wichtiges Vorbereitungsturnier oder konnten Sie die Zeit zu Hause besser nutzen, um sich und Dalera in Ruhe auf die Spiele vorzubereiten?
Aus emotionaler Sicht wäre ich wahnsinnig gerne beim CHIO in Aachen geritten. Aus sportlicher Sicht war es genau richtig so, um Dalera optimal auf Paris vorbereiten zu können. Denn nur zwölf Tage nach Aachen ging es schon los zum Trainingslager.
Zu Daleras Paradedisziplinen gehören Piaffen, Passagen, Pirouetten, Lektionen, die besonders viel Muskelkraft und Kondition erfordern. Wie macht man Kraft- und Konditionstraining mit einem Pferd?
Ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Konditions-, Technik- und Regenerationsphasen zu machen. Das ist sehr abwechslungsreich und gibt den Pferden genug Zeit, auf spielerische Weise Kraft und Kondition aufzubauen. Kraft kommt über die Zeit und über ganz ruhige, versammelte Bewegungen. Konditionstraining mache ich tatsächlich bei uns auf der Galoppbahn mit Intervalltraining. Das lieben die Pferde.
Und wie bereiten Sie sich selbst, körperlich und mental, auf die Spiele vor?
Körperlich arbeite ich seit vielen Jahren mit einem Personal Coach zusammen. Ich habe mittlerweile ein sehr ausgeklügeltes, effizientes Fitnessprogramm für mich, das wir seit 2018 für alle in unserem Aubenhausen Club zugänglich gemacht haben. Es heißt DressurFit. Mental bereite ich mich schon gefühlt das ganze Leben darauf vor. Auch all die Niederlagen und alle Erfahrungen sind Teil des Weges. In diesem Bereich arbeite ich auch seit vielen Jahren mit Coaches. Und dennoch gibt es wahrscheinlich keinen extremeren mentalen Härtetest als Olympia.
Auf Instagram folgen Ihnen fast 400.000 Menschen. Sie gewähren viele persönliche Einblicke in Ihr Leben und den Alltag mit den Pferden. Weshalb ist es Ihnen wichtig, die Öffentlichkeit „mitzunehmen“ und möglichst viele Menschen teilhaben zu lassen?
Der ursprüngliche Antrieb mit Social Media zu starten, war für mich zu zeigen, dass all meine Pferde täglich auf die Weide kommen. Die Öffentlichkeit mitzunehmen, transparent zu sein ist wichtig, um zu zeigen, was für einen wunderschönen Sport wir machen und dass es den Pferden dabei sehr gut geht. Mein Bruder und ich hatten schon immer das Gefühl, dass wir möglichst viel von dem, was wir schon lernen durften, teilen sollten, um anderen Pferden und Menschen zu helfen. Wir wollen inspirieren, nicht missionieren.
Wenn Sie nicht gerade mit Dalera unterwegs sind, nutzen Sie die Zeit, um mit Ihren Nachwuchspferden auf Turnieren zu starten. Ist eines darunter, das Sie an Dalera in jungen Jahren erinnert, in dem Sie vielleicht sogar einen potentiellen Nachfolger sehen?
Ich glaube tatsächlich, dass das ein oder andere Juwel unter den Nachwuchspferden sein könnte. Die Reise ist recht lange und es dauert, so etwas, was Dalera und ich geschafft haben, wieder zu schaffen. Aber ich glaube daran.