Schüsse auf Regierungschef: Minisisterpräsident Robert Fico als Politikum
Robert Fico lag kaum unter dem Messer der Chirurgen des Bezirkskrankenhauses in Banská Bystrica, da wiesen seine politischen Mitstreiter schon auf vermeintlich Schuldige. Aus Sicht der Regierungsmannschaft des linksnationalen Ministerpräsidenten, der am Mittwochnachmittag in der Provinzstadt Handlová niedergeschossen worden war, waren die Schuldigen in der Opposition zu suchen, und bei den Medien. Dabei war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar, wer die Tat verübt hatte und vor allem, warum.
Erster Wortführer war Ľuboš Blaha, stellvertretender Vorsitzender der slowakischen Abgeordnetenkammer und Ficos stellvertretender Parteivorsitzender in der linksnationalen Partei Smer (Richtung) – Soziale Demokratie. „Wut, Wut, Hass, das ist das Ergebnis dessen, was Sie tun“, sagte er auf einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag, keine zwei Stunden nach dem Attentat von Handlová. Ausdrücklich nannte Blaha „die Progressiven, die gesamte Opposition, die liberalen Medien“. Wegen deren angeblichem Hass kämpfe Fico um sein Leben. „Die Schuld werden die Progressiven und alle liberalen Medien niemals wegwaschen.“
Ins gleiche Horn stieß Andrej Danko, Chef der rechtsnationalen SNS, der kleinsten Regierungspartei. Er fragte Reporter, als hätten die sich das Attentat vom Mittwoch gewünscht: „Sind Sie zufrieden?“ Er forderte einen Reporter auf, seinen Presseausweis abzugeben, und die Opposition, sich zu verstecken. Und auch aktive Regierungsmitglieder äußerten sich in dieser Richtung.
Fico war zum Händeschütteln gekommen
Es ist ein klassischer Fall von „den Spieß umgedreht“. Denn bislang waren es Politiker der Smer und auch der SNS, die sich den Vorwurf gefallen lassen mussten, zu Hass und Gewalt auf politisch Andersdenkende aufzustacheln. Gerade Blaha hatte sich in der Vergangenheit in dieser Richtung exponiert. Seine Ausfälle reichten bis hinauf zur Staatspräsidentin, die er als amerikanische Agentin und Verräterin bezeichnete – was ihm schließlich gerichtlich untersagt wurde. Auch Fico selbst hat mehrfach Journalisten und politische Gegner wüst beschimpft.
Nun aber ist er selbst zum Opfer eines Anschlags geworden. Am Mittwochnachmittag wurde er in der Kleinstadt Handlová im Zentrum der Slowakei auf offener Straße niedergeschossen. Zuvor hatte er noch eine Regierungssitzung geleitet, die – wie schon einige Male – demonstrativ in der Provinz abgehalten worden war. Anschließend ging Fico auf den Platz vor dem Volkshaus von Handlová, um mit den dort zusammengekommenen Bürgern Hände zu schütteln. Aus dem Kreis der Schaulustigen wurde auf ihn geschossen.
Der niedergeschossene Fico wurde von seinen Sicherheitsleuten zunächst in ein Auto, dann ins Krankenhaus am Ort und schließlich per Hubschrauber in die Klinik in der Bezirksstadt Banská Bystrica gebracht. Nach Regierungsangaben hat er die erforderlichen Notoperationen überstanden und ist nicht mehr in akuter Lebensgefahr.
Mutmaßlicher Schütze ist 71-jähriger Schriftsteller
Der mutmaßliche Schütze wurde noch an Ort und Stelle festgenommen. Warum er geschossen hatte, war zunächst unklar. Regierungspolitiker sprachen bald von einem „Attentat“, dann auch von einem „politischen Motiv“. Zeugen des Geschehens schilderten, dass er aus der Menge gerufen habe: „Robo, schüttle meine Hand.“ Als Fico sich näherte, habe er mehrmals auf ihn geschossen.
Der Verdächtige ist laut Medienberichten ein 71 Jahre alter Mann aus dem Südwesten des Landes. Er hat in der Vergangenheit mehrere Gedichtbände veröffentlicht und ist seit 2015 Mitglied des slowakischen Schriftstellerverbands. Leben konnte er von seiner Dichtertätigkeit offenbar nicht. So war er vor einigen Jahren auch Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes. In dieser Zeit soll er auch einmal selbst Opfer eines Angriffs geworden sein. Seither habe er einen Waffenschein, hieß es in slowakischen Medien. Die Tatwaffe durfte er mithin führen, wenn auch natürlich nicht zu einem solchen Zweck.
Verdächtiger wohl unzufrieden mit Ficos Politik
Auf Telegram wurde ein Video verbreitet, das den Angreifer angeblich kurz nach seiner Festnahme zeigt. Zu sehen ist ein in Handschellen gefesselter älterer Mann, der in einem Korridor sitzt und dem Mann ähnelt, der am Tatort der heutigen Schießerei festgenommen wurde. Zu hören sei, so wurde berichtet, dass er äußere, er sei mit der Politik der Regierung nicht einverstanden. Dabei soll er auf die von der Opposition heftig kritisierten Bemühungen Bezug genommen haben, Änderungen am öffentlich-rechtlichen Sender RTVS vorzunehmen. Aus der etwa 20 Sekunden dauernden Aufnahme geht nicht hervor, wer sie gemacht hat und wie sie an die Öffentlichkeit gelangt ist. Sollte das Video aus den Reihen der Polizeikräfte geleakt worden sein, was naheliegt, wenn es denn authentisch ist, dann wäre das offensichtlich illegal.
Die Zeitung SME berichtete, sie habe den mutmaßlichen Schützen auf zwei Fotos von Demonstrationen gegen die Regierung Fico identifiziert. Der langjährige Ministerpräsident Fico hat unmittelbar nach seiner dritten Einführung als Regierungschef im vergangenen Herbst zwei Vorhaben verfolgt, die bei seinen Kritikern und der parlamentarischen Opposition auf scharfen Widerspruch gestoßen sind. Zum einen geht es um eine Justizreform, die Strafen für Korruption deutlich herabsetzt und eine Abteilung von Sonderermittlern auflöst. Zum anderen um die öffentlich-rechtlichen Medien, deren Unabhängigkeit nach Ansicht der Opposition angegriffen wird. Schon bald nach Regierungsantritt im vergangenen Herbst wurde nahezu wöchentlich zu Demonstrationen gegen diese Regierungsvorhaben Ficos aufgerufen.
Andererseits soll – so ebenfalls das regierungskritische Medium SME – der Verdächtige sich im Umfeld einer paramilitärischen Gruppe slowakischer Reservisten getummelt haben, die mit russlandfreundlichen Tendenzen in sozialen Medien hervorgetreten sein sollen. Er sei auf deren veröffentlichten Fotos zu identifizieren. Fico hat sich im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg klar mit kremlfreundlichen Parolen exponiert. So stoppte er, wie im Wahlkampf 2023 angekündigt, Waffenlieferungen aus slowakischen Beständen an die Ukraine. Andererseits verhielt er sich im EU-Rahmen bei konkreten Abstimmungen etwa über Sanktionen konstruktiv wie schon die Vorgängerregierung. Und auch Waffenlieferungen über die Slowakei behinderte er (anders als Ungarn, das wie die Slowakei NATO-Mitglied ist) nicht. Er zeigte sich sogar offen für Waffenkäufe für die Ukraine bei Unternehmen der slowakischen Rüstungsindustrie.
Opposition verurteilte das Attentat scharf
Die Opposition in der Slowakei ist jedenfalls in einer schwierigen Position. Einerseits könnten die meisten der Oppositionsparteien darauf verweisen, dass sie nicht in der Schärfe und persönlichen Zielrichtung den politischen Gegner kritisiert haben, wie es Fico und seine Mitstreiter taten. Es gibt aber auch Politiker wie Igor Matovič, immerhin auch ein früherer Regierungschef, die ebenfalls eine solche Sprache pflegten. Matovič hat sich im Wahlkampf 2023 sogar auf eine tätliche Auseinandersetzung mit Ficos Gefolgsmann Robert Kaliňák eingelassen, der heute als Verteidigungsminister in den vorderen Reihen der Regierung steht.
Andererseits gibt es kein Umhinreden, dass es nun Fico ist, der Opfer eines lebensbedrohlichen Anschlags geworden ist. Argumente der Art, dass nun Sturm ernte, wer Wind gesät habe, verbieten sich. Stattdessen wurde das Attentat auf Fico auch von der Opposition in Pressburg klar verurteilt.
Michal Šimečka, Oppositionsführer und Vorsitzender der liberalen „Progressiven Slowakei“, wünschte Fico Glück und baldige Genesung. „Gleichzeitig fordern wir alle Politiker auf, alle Äußerungen und Handlungen zu unterlassen, die zur Eskalation der Spannungen beitragen könnten“, äußerte Šimečka. Der Vorsitzende der wirtschaftsliberalen SaS, Branislav Grohling, schrieb: „Ein Angriff auf den Premierminister des Landes, unabhängig von unserer politischen Meinung, ist inakzeptabel. Wir verurteilen jegliche Gewalt und Angriffe auf Politiker und glauben, dass sich der Premierminister bald erholen wird.“
Auch die scheidende Präsidentin Zuzana Čaputová, die als innenpolitisches Gegengewicht zu Fico wahrgenommen wird, schrieb: „Ich verurteile den brutalen und rücksichtslosen Angriff auf Premierminister Robert Fico aufs Schärfste. Ich bin schockiert. Ich wünsche Robert Fico viel Kraft, um sich in diesem kritischen Moment von dem Angriff zu erholen.“ Čaputová ist bei der Präsidentenwahl dieses Jahr nicht zu einer zweiten Amtszeit angetreten, weil sie es sich angesichts der persönlichen Angriffe gegen sich selbst und ihre Familie nicht zutraute. „Die hasserfüllte Rhetorik, die wir erleben, führt zu hasserfüllten Taten. Bitte, lasst uns damit aufhören“, schrieb sie jetzt.
Fico selbst warnte nach der Präsidentschaftswahl vor politischer Gewalt
Von Regierungsseite gemäßigt äußerte sich Peter Ziga, stellvertretender Parlamentssprecher der Hlas-Sozialdemokratie. Er bewertete das Attentat auf Fico als „Ergebnis entflammter Leidenschaften und der Spaltung der slowakischen Gesellschaft in zwei unversöhnliche Lager“ und sagte weiter: „Wir stehen vor einer grundlegenden Herausforderung, die Gesellschaft zu beruhigen.“ Bedeckt hielt sich hingegen Peter Pellegrini, der Hlas-Vorsitzende, der bereits als gewählter Nachfolger Čaputovás zum Präsidenten feststeht.
Fico selbst hatte schon im April nach der Präsidentschaftswahl vor politischer Gewalt gewarnt. Damals schrieb er: „Auf den Straßen werden Regierungspolitiker obszön verflucht.“ Konkret kritisierte er mehrere namentlich genannte regierungskritische Medien. Er warte nur darauf, dass sich diese Frustration „in der Ermordung eines der führenden Regierungspolitiker niederschlägt“. „Und ich übertreibe keinen Millimeter“, äußerte er vor einem Monat.