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Ukraine: Keine weitere finanzielle Militärhilfe der Bundesregierung

Deutschland muss die Militärhilfe für die Ukraine einschränken. Nach der aktuellen Haushaltsplanung der Bundesregierung steht dafür ab sofort kein neues Geld zur Verfügung. Grund dafür sind Sparmaßnahmen von Kanzleramt und Finanzministerium. Bereits bewilligtes Material wird zwar meist noch geliefert, aber zusätzliche Anträge aus dem Verteidigungsministerium sollen auf Verlangen von Bundeskanzler Olaf Scholz nicht mehr bewilligt werden. Finanzminister Christian Lindner hat eine entsprechende Bitte am 5. August in einem Brief an Verteidigungsminister Boris Pistorius weitergegeben. Dies erfuhr die F.A.S. aus Dokumenten und E-Mails sowie nach Gesprächen in mehreren Häusern der Bundesregierung und im Parlament.

Die Sperre ist schon wirksam. Für die Ukraine dürfte die Lage sich außerdem bald noch weiter verschärfen, weil die geplante militärische Unterstützung im nächsten Jahr nahezu halbiert werden und dann 2027 auf weniger als ein Zehntel der heutigen Summe zusammenschmelzen soll.

Aus Sicht des Finanzministeriums sehen die Dinge allerdings anders aus. Aus Lindners Brief vom 5. August, der der F.A.S. vorliegt, geht hervor, dass er durchaus keinen jähen Abbruch bei den Mitteln für die Ukraine erwartet. Allerdings soll das Geld künftig nicht mehr aus dem Bundeshaushalt kommen, sondern aus eingefrorenem russischen Zen­tralbankguthaben. Die Verbündeten der Ukraine nämlich haben nach Putins Großangriff etwa 300 Milliarden Dollar beschlagnahmt, und die G-7-Staaten haben auf ihrem Gipfel in Italien beschlossen, aus den Erträgen dieses Geldes einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit für Kiew zu finanzieren. Lindner erwartet nun, dass die Ukraine mit diesem Geld „einen wesentlichen Teil ihres militärischen Bedarfs decken wird“.

Wann das russische Geld kommt, weiß keiner

Wenn das gelänge, wäre eine Zeit lang tatsächlich kein deutsches Geld mehr nötig. Der Beschluss der G-7-Staaten ist allerdings von der Verwirklichung weit entfernt und rechtlich umstritten. Internationale Verhandlungen sind im Gang, und in keinem der Häuser der Bundesregierung, mit denen die F.A.S. gesprochen hat, wusste jemand, wie viele Monate vergehen würden, bis das Geld am Ende fließt. Im Kanzleramt herrsche zwar großer Optimismus, in den Fachressorts aber ebenso große Skepsis. Sebastian Schäfer, der Obmann der Grünen im Haushaltsausschuss des Bundestages, sagt, zur Nutzung russischer Vermögen liege „außer Ankündigungen des Finanzministers leider nichts Konkretes vor“, und Andreas Schwarz, der stellvertretende haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, stellt fest, man wisse nicht, wie schnell die Erträge aus russischem Vermögen kommen könnten „und ob das rechtlich überhaupt möglich ist“.

Derzeit ist es also mehr als unsicher, ob russisches Geld künftig verwendet werden kann. Aber es ist sicher, dass der Zahlungsstopp greift. Dessen Auswirkungen sind bereits jetzt zu spüren. Eine Quelle berichtet, weil die Sperre schon wirke, habe zum Beispiel unlängst ein verfügbares Flugabwehrsystem des Typs IRIS-T nicht finanziert werden können. Der Hersteller, Diehl Defence, habe unmittelbar nach dem verheerenden russischen Bombenangriff auf eine Kiewer Kinderklinik im Juli eine Einheit bieten können, weil ein anderer Kunde zugunsten der Ukraine auf die Lieferung verzichten wollte. Das Geld sei aber nicht bewilligt worden – gegen den Willen von Verteidigungsminister Boris Pistorius. Dessen Ministerium und die Firma Diehl wollten dazu nichts sagen.

Die Sperre hat nach Auskunft mehrerer Quellen zu einem „handfesten Streit“ in der Bundesregierung geführt. Das Kanzleramt will demnach Mittel zurückhalten, das Verteidigungsministerium, das Auswärtige Amt und das Wirtschaftsministerium sind damit nicht einverstanden. Über die Rolle des Finanzministeriums gibt es unterschiedliche Darstellungen. Manche sagen, es stehe aufseiten des Kanzlers, andere wenden ein, es weise nur pflichtgemäß darauf hin, dass es für neue Bestellungen kein Geld mehr gebe.

Der Stopp für jede neue Ukrainehilfe geht aus Lindners Brief vom 5. August hervor. Er ist an Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock adressiert. Darin heißt es, „neue Maßnahmen“ dürften nur eingegangen werden, wenn in den Haushaltsplänen für dieses und die kommenden Jahre „eine Finanzierung gesichert ist“. Weiter unten folgt der lapidare Satz: „Bitte stellen Sie sicher, dass die Obergrenzen eingehalten werden.“

„Der Topf ist leer“

Weil aber die Mittel für Ukrainehilfen (je nach Rechenweise 7,48 oder acht Milliarden Euro) für das laufende Jahr schon verplant sind und die geplante Höchstgrenze für 2025 (vier Milliarden) offenbar schon überbucht ist, heißt das: Nichts geht mehr. Für 2026 sind dann nur noch drei Milliarden vorgesehen, für 2027 und 2028 je eine halbe Milliarde. Ein Gesprächspartner in der Bundesregierung sagte deshalb, man habe den Punkt erreicht, wo Deutschland der Ukraine keine Zusagen mehr machen könne: „Ende der Veranstaltung. Der Topf ist leer.“ Damit würde eine Wahlkampfforderung von der AfD, der Wagenknecht-Partei und des sächsischen CDU-Vorsitzenden Michael Kretschmer erfüllt, die Unterstützung der Ukraine mit Waffen möglichst bald zu beenden.

Im Haushaltsausschuss des Bundestages wird das bestätigt: Der Sozialdemokrat Schwarz sagt, im Augenblick würden für die Ukraine „keine neuen Bestellungen ausgelöst, weil diese nicht mehr finanziert sind“. Ingo Gädechens, Haushaltspolitiker der CDU, pflichtet bei: „Von heute auf morgen frieren Olaf Scholz und seine Ampel die finanzielle und damit militärische Unterstützung der Ukraine ein.“ Nur die Dinge, die schon liefen, könnten noch abgewickelt werden.

Offenbar können deshalb schon in diesem Jahr notwendige zusätzliche Militärhilfen im Wert von knapp vier Milliarden Euro nicht geleistet werden, obwohl die Industrie liefern könnte. Das wird von mehreren Quellen in der Bundesregierung bestätigt. Für diese Summe wollte das Verteidigungsministerium eigentlich noch im laufenden Jahr Militärausrüstung für die Ukraine bestellen, aber Kanzleramt und Finanzministerium sind offenbar dagegen. Die Liste des Verteidigungsministeriums soll auch das Flugabwehrsystem enthalten, das Diehl angeboten hatte. Die größten weiteren Posten sind Artilleriemunition, Drohnen, Aufwendung für Instandhaltung und Ersatzteile für schon gelieferte deutsche Waffen, etwa Panzer und Haubitzen. Allerdings, heißt es, habe man einen kleinen Teil davon mittlerweile aus „Restmitteln“ finanzieren können.

Für die Jahre bis 2028 sind nach Auskunft eines Experten kaum neue Bestellungen möglich. Im Augenblick erhält die Ukraine zwar noch Lieferungen, aber nur wegen alter Verträge. Die schon vorliegenden Bestellungen müssten nach den Informationen der F.A.S. allerdings um etwa eine Milliarde verkleinert werden. Was das heißt, beschreibt ein Fachmann in der Bundesregierung so: Man müsse sich nur vorstellen, dass Deutschland langfristig Munition, Flugabwehr oder andere militärische Güter für Kiew finanzieren wolle – zum Beispiel für 800 Millionen Euro, die im Jahr 2027 fällig wären. Das wäre nicht mehr möglich, weil für 2027 die Grenze bei 500 Millionen liege. Langfristige Verträge könnten deshalb überhaupt nicht mehr geschlossen werden. Die Unterstützung für die Ukraine drohe „unter die Räder zu kommen“.

Beobachtungen der F.A.S. im Kampfgebiet illustrieren, wie sich der ständige Mangel bei der Unterstützung aus Deutschland auswirkt. Manche der deutschen Geschütze an der Front haben so wenig Ersatzteile und Munition, dass sie nur drei bis vier Schuss am Tag abfeuern können. Die schnelle Schussfolge der Panzerhaubitze 2000, einer ihrer großen Vorteile, kann so nicht genutzt werden. Weil Spezialmunition fehlt, kann sie auch ihre große Reichweite nicht entfalten. Da außerdem zu wenig Ersatzteile da sind, werden immer wieder einzelne Exemplare der Haubitze oder des Kampfpanzers Leopard 1A5 ausgeschlachtet, um andere in Gang zu halten. Wenn dann ein Stück Großgerät auch auf diesem Weg nicht repariert werden kann, muss es zurück in den Westen. Das wiederum dauert. Ukrainische Soldaten berichten, dass Panzerhaubitzen, die Ende 2023 zur Reparatur geschickt wurden, bis heute nicht wieder da seien. Das wiederum führt dazu, dass trotz des Personalmangels der Ukrainer ganze Geschützbesatzungen immer wieder lange Pausen machen müssen.

Das Kanzleramt greift ein

Zum Streit in der Bundesregierung berichten mehrere Gesprächspartner, Pistorius habe für die von ihm erbetenen knapp vier Milliarden an zusätzlicher Ukrainehilfe für dieses Jahr eine detaillierte Wunschliste aufstellen lassen. Nach einer Intervention des Kanzleramtes habe er diese Liste aber gar nicht erst vorgelegt. Das Verteidigungsministerium wollte das nicht kommentieren, und aus dem Finanzministerium hieß es, alle Entscheidungen zur Unterstützung der Ukraine würden „in engster Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt getroffen“. Ein Sprecher des Kanzlers sagte, das Kanzleramt sei da „nicht stärker“ involviert gewesen. Für die Rolle seines Hauses gab er technische Erklärungen. Es sei darum gegangen, dass das Verteidigungsministerium „noch nicht alle Voraussetzungen“ gemeldet habe. Auf einer Datenbank sei noch nicht alles verbucht gewesen.

In Koalition und Opposition regt sich jetzt Kritik an diesem Stopp bei der Ukrainefinanzierung. Gädechens von der CDU-Fraktion sagt, Scholz und die Ampel führten „bei der Ukraine ein beispielloses Schauspiel der Scheinheiligkeit auf“. Einerseits verspreche der Kanzler immer wieder, „die Ukraine militärisch so zu unterstützen, wie es nötig ist“. Andererseits wolle er jetzt „der Friedenskanzler“ sein. Beides führe zu der jetzigen Situation.

Auch in der Ampel gibt es Kritik. Schäfer von den Grünen meint, die Halbierung der geplanten Ukrainehilfe von acht Milliarden für dieses Jahr auf vier Milliarden für nächstes Jahr werfe „viele Fragen auf“, und Schwarz von der SPD fürchtet schlimme außenpolitische Folgen. Der monatelange Ausfall der amerikanischen Gelder im letzten Winter und Frühjahr habe der Ukraine schon schwer geschadet. „Wenn jetzt Deutschland als zweitgrößter Geber Pause macht, ist das für die Ukraine schwierig.“ Putin könne aus dem deutschen Staatshaushalt „viel herauslesen“. Und wenn er sehe, dass für die Ukraine immer weniger Geld da sei, „dann wird seine Deutung sein: Deutschland zieht sich aus der Hilfe zurück.“

Seine Propagandisten würden dann sagen: „Der Westen kann nicht mehr, und irgendwann ist es zu Ende mit der Ukraine.“ Das erschwere „eine diplomatische Lösung des Konfliktes“. Wenn aber die Ukraine den Krieg verliere, könnten sich nach ukrainischen Schätzungen bis zu 15 Millionen Flüchtlinge auf den Weg machen. „Wie viele werden nach Deutschland kommen?“, fragt Schwarz. „Am Ende wird das passieren, was Putin seit Jahren anstrebt: Deutschland und Europa werden destabilisiert.“

Aus alledem folgert Schwarz, dass der Berliner Zahlungsstopp eine „Lücke“ für die Ukraine reißen könnte. Was in Berlin passiere, schwäche „die Durchhaltefähigkeit der ukrainischen Armee“.

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