Volkskongress in Peking: Xi verzwergt seinen Ministerpräsidenten
Seit siebzig Jahren trifft sich Chinas Volkskongress einmal im Jahr zur Sitzungswoche. Wenn die dreitausend Delegierten des Scheinparlaments sich von diesem Dienstag an eine Woche lang versammeln, um von der Partei entschiedene Gesetze abzunicken, gibt das der Weltöffentlichkeit meist seltene Einblicke in Denkweisen des Machtapparats.
Dabei stand der chinesische Staats- und Parteichef in der Regel nicht allein im Rampenlicht. Denn seit dreißig Jahren gehörte zum Volkskongress auch eine Pressekonferenz des Ministerpräsidenten. Diese konnten über die Jahre manchmal zu vergleichsweise launigen Angelegenheiten werden und offenbarten manchmal Andeutungen von Unzufriedenheit.
Doch dieses Jahr wird sich Chinas Ministerpräsident Li Qiang zum Ende des Volkskongresses dem eigenen Volk und internationalen Vertretern nicht mehr in einer Pressekonferenz erklären. Dies gelte für dieses Mal sowie für „die kommenden Jahre“, sagte der Sprecher des Nationalen Volkskongresses, Lou Qinjian, am Montag lächelnd in einem überfüllten Nebensaal in der Großen Halle des Volkes. Über die Gründe schwieg er sich aus.
Xi setzt auf Vertraute
Dem Ministerpräsidenten wurde damit eine weitere seltene Möglichkeit genommen, sich zu zeigen. Dieser Schritt ist ein neuerlicher und nunmehr offen verlautbarter Hinweis auf die kontinuierlich weiter sinkende Macht dieses Amtes in der Ära des Staats- und Parteichefs Xi Jinping. Dabei scheint sich die neue Regelung weniger auf die Person des Xi loyal ergebenen Ministerpräsidenten Li Qiang zu beziehen denn eher auf das Amt selbst. So jedenfalls lässt sich der Hinweis auf die lange Gültigkeit der neuen Regelung verstehen.
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Dass der Machtapparat dem Ministerpräsidenten nun eine der letzten öffentlichen Gelegenheiten kappt, sich als Parteioberer der Öffentlichkeit zu stellen, fügt sich zudem in die Informationspolitik unter Xi ein. Wichtige Daten werden nicht mehr veröffentlicht oder verschleiert, und die Weitergabe auch alltäglicher Informationen droht mehr denn je unter die sich stets verschärfenden, wiewohl vagen Spionagegesetze zu fallen.
Seltene Gelegenheit für kritische Wortmeldungen
Der Machtapparat erklärt sich noch weniger als zuvor. Die Pressekonferenz des Ministerpräsidenten war eine von ganz wenigen Gelegenheiten, in denen sich ein hoher Funktionär trotz oft abgesprochener Fragen öffentlich in Echtzeit erklärt hatte. Sie war auch ein Produkt der selbst erklärten Reform- und Öffnungspolitik.
Li Keqiang, der kritisierte, dass sechshundert Millionen Chinesen lediglich ein monatliches Einkommen von umgerechnet 130 Euro hätten, „was nicht ausreicht, um in Chinas Städten ein Zimmer zu mieten“. Derartige Aussagen schlugen sich direkt auf die Beliebtheit und die Reputation der Ministerpräsidenten nieder. Die Möglichkeit derartiger Wortmeldungen will Xi nun offensichtlich ebenfalls unterbinden.
Noch 2018 pries der Volkskongress selbst auf seinem Wechat-Kanal die Pressekonferenz als „eines der wichtigsten Fenster zur Beobachtung von Chinas Offenheit und Transparenz“. So könne die Welt „den Puls der Reform, der Öffnung und der Entwicklung der demokratischen Politik im heutigen China fühlen“. Heute ist davon kaum noch etwas spürbar.
Wirtschaft wartet auf ein Zeichen
Seit einem Jahr ist der blasse Li Qiang nun im Amt des Ministerpräsidenten, der ehemalige Parteichef der Wirtschaftsmetropole Schanghai gilt als Getreuer Xis und wurde von diesem selbst ausgesucht. Die in Hongkong erscheinende „South China Morning Post“ beschrieb nun Vermutungen, dass Li die Pressekonferenz aus eigenen Stücken auch deshalb nicht abhalten wollte, um seine Loyalität gegenüber Xi abermals zu unterstreichen – damit dieser noch mehr als ohnehin bereits im Mittelpunkt steht.
Dass Li Qiang wie von vielen erhofft wirtschaftspolitisch freischwimmt und die darbende Volkswirtschaft wieder ankurbelt, erwartet kaum noch jemand. Wenn Li zur Eröffnung des Scheinparlaments am Dienstag den von der Partei vorab bestimmten Tätigkeitsbericht der Regierung vorstellt, sind deshalb wenig Überraschungen zu erwarten. Li wird wie zu dem Zeitpunkt üblich ein Wirtschaftswachstumsziel vorstellen, das wohl rund fünf Prozent beträgt. Mit größeren Veränderungen in der politischen Ausrichtung des Landes rechnet auf der Sitzung niemand.
Dabei suchen nicht zuletzt Wirtschaftsvertreter klarere Zeichen zur Wirtschaftspolitik. Die Unsicherheit hat sich verstärkt, seit Xi vergangenen Herbst mit einer weiteren Tradition gebrochen hatte und das dann eigentlich anstehende sogenannte Dritte Plenum zur Wirtschaftspolitik bis heute nicht stattfinden ließ. Dieses diente dem Machtapparat eigentlich, um seine neue Wirtschaftsstrategie zu verhandeln und verkünden.
Die Deflation dauert an, die Immobilienkrise grassiert ungelöst, und die Produktionszahlen sind zuletzt gesunken. Gleichwohl gibt der Machtapparat weiter keine Anzeichen, die Wirtschaft durch ernsthafte Konjunkturmaßnahmen anzukurbeln. Xi hat ein anderes Wirtschaftsmodell im Sinn. Es setzt auf massive technologiezentrierte Industriepolitik, nicht auf Marktreformen. Stattdessen wächst die Intransparenz, was kein Vertrauen schafft für die Wirtschaft. Die neueste Verzwergung des Ministerpräsidenten dürfte das noch verstärken.