Wahlen in Galicien: Region der Geisterstädte
Der Wind rüttelt an der einsamen Haltestelle. Kein Bus ist in Sicht, nicht einmal ein Fahrplan hängt aus. Nur an den Wellblechwänden kleben ein paar Plakate für die Regionalwahl in Galicien am Sonntag. „Das Galicien, das funktioniert“, verspricht die regierende konservative PP, „Das Galicien, das du willst“, die nationalistische BNG.
Je weiter sich die schmale Straße von Nogueira nach Castro Caldelas in die galicische Provinz schlängelt, desto seltener wird die Wahlwerbung. Kein Mensch ist zu sehen, in den Weilern am Wegesrand höchstens ein misstrauischer Hund.
Die ersten Kamelien knospen schon. Üppig grün vom reichlichen Regen ist die demographische Wüste, die wenige Kilometer außerhalb der Provinzhauptstadt Ourense beginnt. „Hier oben wohnen nur noch Alte und ein paar Bauern“, meint schulterzuckend ein Tankwart. Naturschönheit und Niedergang liegen dicht nebeneinander. Wer von der Hauptstraße abzweigt, um einen Blick in das tief eingeschnittene Sil-Tal zu werfen, stößt auf eines der vielen „Geisterdörfer“.
Seit Jahrzehnten blutet Galicien aus
Knapp 1800 „aldeas fantasmas“ zählt Galicien und nimmt in Spanien unter den Orten ohne Einwohner einen der traurigen Spitzenplätze ein. Die Ziegeldächer sind eingestürzt, die Fenster gleichen leeren Augenhöhlen, Efeu und Gras überwuchern die Mauerreste. Dabei liegt das Krisengebiet in der Ribeira Sacra, einer der schönsten Weingegenden Spaniens.
In Castro Caldelas sind die Einwohner stolz darauf, dass sie es vor Kurzem in die Liste der „schönsten Dörfer Spaniens“ geschafft haben. Die schmalen gepflasterten Gassen führen an schmucken Häusern vorbei zur Burg der Grafen von Lemos. Aber die Großgemeinde steht auch für einen traurigen Rekord in der Provinz Ourense. Auf ihrem Gebiet liegen gleich 16 völlig verlassene Orte. In 108 Dörfern der Provinz lebt nur eine Person, knapp 500 haben weniger als fünf Einwohner. Sie heißen „Widerstandsdörfer“, weil noch Hoffnung besteht, dass sie überleben.
Seit Jahrzehnten blutet das Landesinnere Galiciens aus. Ourense ist die spanische Provinz, die in den vergangenen 50 Jahren die meisten Einwohner verloren hat, mehr als ein Drittel seiner Bevölkerung. Fast 200.000 Menschen sind ausgewandert oder in die Großstädte gezogen. Die akute Blutung ist nicht mehr ganz so heftig. Das lag an der Pandemie, nicht an der Politik. Aus Angst vor dem Virus besannen sich mehr Menschen ihrer Wurzeln und zogen aus den Städten in ihre einsamen Herkunftsorte. In Castro Caldelas lebten vier verlassene Dörfer wieder auf. Aber es fehlen die Jüngeren. In der Nachbargemeinde liegt das Durchschnittsalter bei über 63 Jahren. In vielen Orten ist ein Viertel der Einwohner älter als 75 Jahre.
CSU in Bayern. In Galicien braucht der PP-Vorsitzende Alberto Núñez Feijóo einen Erfolg nach seinem Scheitern bei der Parlamentswahl. Bis vor zwei Jahren war er selbst Regionalpräsident in Santiago de Compostela. Jetzt will er zeigen, dass Galicien das bessere Spanien ist.
Ausgerechnet ein Astronaut aus Ourense könnte bald über die neue Regierung entscheiden. Verkleidet als Raumfahrer und begleitet von zwei nebelspeienden Robotern eröffnete Bürgermeister Gonzalo Pérez Jácome den Karneval und erinnerte zugleich an die Wahl am Sonntag. Auch ein „Superman“-Kostüm steht im Amtszimmer des ehemaligen Musikalienhändlers bereit. Der frühere Treppenrenner, der in den USA studiert hat und dessen New Yorker Nummernschild einen Ehrenplatz in seinem Büro hat, traut sich alles zu. In seiner Stadt nennen ihn manche schon den „galicischen Trump“.
Seit 2019 ist er Bürgermeister der Stadt mit etwas mehr als 100.000 Einwohnern. Am Sonntag könnte Democracia Ourensana zum ersten Mal der Sprung ins Regionalparlament gelingen. „Es könnten sogar zwei Mandate werden“, sagt der 55-Jährige, der im vergangenen Jahr wiedergewählt wurde, obwohl mehrere Korruptionsverfahren gegen ihn laufen. „Ourense zuerst“ lautet der simple Slogan seiner Partei auf gelbem Hintergrund.
Bürgermeister Jácome fasst sein Programm lieber auf Englisch zusammen: „Show me the money. Wir paktieren auch mit dem Teufel, wenn wir dafür den Himmel für Ourense bekommen.“ Seine Partei, die eher einem Freundeskreis gleicht, sei weder rechts noch links, sagt er, es gehe nur um das vernachlässigte Ourense. Alle Infrastrukturprojekte der letzten Jahre seien Santiago, Vigo oder A Coruña zugutegekommen. „Investitionen müssen das demographische Ausbluten der Provinz stoppen, deren Einwohnerzahl in einem halben Jahrhundert von 475.000 auf 300.000 Einwohner geschrumpft ist.“
Pedro Sánchez und sein Bündnis mit den katalanischen Separatisten eingeschossen. Er ruft dazu auf, der Linksregierung in Madrid eine „demokratische Lektion zu erteilen“, aber es gebe jetzt Wichtigeres: „Galicien ist viel mehr als Sánchez.“
Der Sozialist Sánchez macht selbst Wahlkampf in Galicien. Trotzdem verliert seine PSOE in den Umfragen immer mehr Zuspruch. Die Linksnationalisten der BNG haben sich nach Jahren des Streits hinter der Spitzenkandidatin Ana Pontón gesammelt und werden für die PP immer gefährlicher.
„Viel kommt darauf an, wie sehr die Linke ihre Wähler mobilisieren kann“, sagt Xosé Manoel Núñez Seixas. In den Städten halte sich die Begeisterung für den galicischen Nationalismus und Sánchez’ Politik in Grenzen. Viele schreckten vor einem politischen Abenteuer zurück, sagt der Professor für Zeitgeschichte an der Universität von Santiago de Compostela. Einiges erinnere ihn an Bayern, wo er selbst einmal in München lehrte und forschte. Die Partei des Bürgermeisters von Ourense vergleicht er mit den Freien Wählern, die der absoluten Mehrheit der CSU ein Ende setzten.
Bayerns prägte.
Fraga hatte ähnliche Ambitionen wie Strauß. Beide schafften es jedoch nicht, Regierungschefs ihrer Länder zu werden. Das gelang erst dem Galicier Mariano Rajoy. Jetzt ist auf einmal das galicische Bollwerk der PP in Gefahr und könnte von einem Bürgermeister im Astronautenkostüm abhängen, der als Rächer der Vernachlässigten auftritt.