Wie eine falsche Kammer im Iran die deutsche Wirtschaft einspannen wollte
Der deutsch-iranische Handel floriert. Der Wert des deutschen Exports in den Iran sei im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 19 Prozent auf 344 Millionen Euro gestiegen, heißt es im Newsletter der „Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer“ in Teheran. Es ist eine von vielen positiven Meldungen zum deutsch-iranischen Wirtschaftsverhältnis, die so verbreitet werden. Kritische Worte zu den iranischen Raketenangriffen auf Israel oder Menschenrechtsverstößen in Iran? Fehlanzeige.
Der unkritische Umgang der Wirtschaftskammer mit dem Mullah-Regime macht skeptisch. Wer steckt hinter der Organisation, die sich im Internet und in Rundschreiben wie eine offizielle Auslandshandelskammer (AHK) präsentiert und auch deren Logo nutzt? Recherchen der F.A.Z. zeigen: Tatsächlich gehört die Organisation der AHK-Gruppe aus 150 Standorten in 93 Ländern gar nicht mehr an, wie die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) klarstellt.
Absurder noch: Unter falscher Flagge lädt die Einrichtung Geschäftsleute zu „Delegationsreisen“ nach Deutschland ein, unter anderem zu Messen und zu den Automobilherstellern Mercedes , Audi und Porsche. Doch die wissen von den Besuchen nichts. Auf Nachfrage will auch der angebliche „Premiumpartner“ Lufthansa jetzt alle seine Einträge bei der falschen Kammer löschen lassen.
„Sehr schwierig, die Markenrechte im Iran durchzusetzen“
Die Islamische Republik Iran ist nicht nur wegen ihres autoritär-muslimischen Regimes, wegen ihres Atomprogramms, wegen Menschenrechtsverletzungen und der gewaltsamen Niederschlagung der landesweiten Proteste seit 2022 in der Kritik, sondern auch wegen ihrer Drohnenlieferungen an Russland im Krieg gegen die Ukraine und wegen eines Raketenangriffs auf Israel im April. Die Europäische Union und Deutschland haben ihre Sanktionen deshalb schon mehrfach verschärft.
In dieser angespannten Lage nutzt die angebliche Kammer nicht nur die AHK-Zeichen, auch im Netz der Netze erinnern ihre Webadressen an die deutschen Vorbilder, etwa diihk.com/de und ahkiran.ir. Der Dachverband in Berlin zeigt sich verärgert über diese Auftritte, denn im Oktober 2023 hatte er der Einrichtung den AHK-Status entzogen. Man habe den Iranern die unzulässige Verwendung des Logos per anwaltlicher Verfügung untersagt, sagt ein DIHK-Sprecher. Dieses Verbot sei in Deutschland gerichtsfest. Es sei aber „sehr schwierig, die entsprechenden Markenrechte im Iran durchzusetzen, ein frustrierendes Thema“. Das dortige Büro „agiert unabhängig von der DIHK“, es sei „eine im Iran eingetragene Mitgliederorganisation mit eigener Rechtspersönlichkeit“.
Das war nicht immer so. 1975, noch zu Zeiten des Schahs, wurde die AHK Iran von der DIHK und einem Gründungsvorstand aus jeweils sechs deutschen und iranischen Kaufleuten ins Leben gerufen. Diese Parität gilt bis heute. Nach der Revolution und der Errichtung der Islamischen Republik 1979 ging es in den bilateralen Beziehungen auf und ab. Zu einem Hoch war es 2015 nach der Wiener Nuklearvereinbarung zur Kontrolle des iranischen Atomprogramms und der Lockerung der Sanktionen gekommen.
Mit der Reise von Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) nach Teheran im Herbst 2016 schienen sich die Beziehungen zu normalisieren: Die DIHK arbeitete wieder mit der AHK zusammen, es gab eine eigene Iran-Delegierte der Deutschen Wirtschaft. Zwischenzeitlich floss auch Staatsgeld wie in andere Teile des AHK-Netzes, darunter direkte Zuwendungen des Ministeriums für die Außenwirtschaftsförderung.
Tatsächlich alle Verbindungen gekappt?
All das ist vorbei, seitdem die Sanktionen wieder greifen und sich die Menschenrechtslage derart verschlechtert hat, wie der DIHK-Sprecher sagt: „Aufgrund der anhaltend sehr schwierigen Situation haben wir den entsprechenden Markenrechtslizenzvertrag im Oktober 2023 mit sofortiger Wirkung gekündigt und alle Verbindungen zur Kammer gekappt.“ So ganz aber stimmt das nicht. Die IHK Frankfurt unterhält im Internet eine Länderseite samt Fachmann zum Iran – und sie verweist als Kontakt zur verfemten AHK als „Ansprechpartner vor Ort zu allen Fragen der Markterschließung und Marktbearbeitung“.
Wenn der Kammerverband sagt, er könne in Teheran gegen die Markenrechtsverletzung nicht einschreiten, dann ergibt sich diese Möglichkeit aber vielleicht, wenn die Iraner demnächst nach Deutschland kommen: In einem Newsletter vom 21. Mai kündigt die Organisation „exklusive Delegationsreisen zu wichtigen Veranstaltungen in Deutschland“ an. Im September wolle man „renommierte Automobilzentren in Deutschland“ besuchen. Genannt werden die Weltleitmesse Automechanika in Frankfurt, das Porsche-Museum in Stuttgart sowie „Produktionsstätten von Mercedes-Benz und Audi“. Eine weitere Gruppe reise zur Metallbearbeitungsmesse AMB nach Stuttgart. Im Oktober finde dann ein Besuch der Inno Trans statt, der Fachmesse für Bahn- und Verkehrstechnik in Berlin.
Die Veranstalter wissen nichts von Reisen
Allerdings wissen die Veranstalter gar nichts davon. „Über die genannte Delegationsreise ist uns nichts bekannt“, teilt die Messe Frankfurt mit und ergänzt vorsorglich, sie halte sich an alle „von der Bundesregierung erlassenen beziehungsweise unterstützten Sanktionen“. Auch der Messe Stuttgart liegt keine Anmeldung vor: „Wir sind über eine Delegationsreise iranischer Geschäftsleute nicht informiert.“ Die Messe Berlin hat gleichfalls „keine Informationen zu einer Delegationsreise iranischer Geschäftsleute zur diesjährigen InnoTrans“. Auch bei Mercedes, Porsche und Audi sind Anfragen einer solchen Delegation nicht eingegangen. Allenfalls könnten sich Gruppen aus dem Iran privat angemeldet haben.
Nicht nur die deutsche Wirtschaft ist verstört, sondern auch Amnesty International. „Anders, als die Kammer suggeriert, kann man den Iran nicht als Partnerland wie jedes andere Land behandeln, denn dort werden unfassbare Menschenrechtsverletzungen begangen“, sagt Lena Rohrbach, die Iran-Expertin der Organisation in Deutschland. Das Regime sei für Folter, Misshandlungen, für die Unterdrückung von Dissidenten, Frauen und Minderheiten ebenso verantwortlich wie für eine hohe Zahl ungerechtfertigter Hinrichtungen. „Die schlimme Lage im Iran beißt sich mit den Jubelmeldungen der AHK zum steigenden Außenhandel“, sagt sie.
Befremdet ist Rohrbach auch darüber, dass die AHK in dem Rundschreiben „tiefe Trauer“ über den Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi ausdrückt. Raisi sei „direkt am Verschwindenlassen und an den außergerichtlichen Hinrichtungen Tausender politischer Dissidenten in den 1980er Jahren“ sowie an vielen weiteren Gräueltaten „beteiligt (gewesen) beziehungsweise hat sie beaufsichtigt“.
„Verdammt schwierig, ein Visum zu bekommen“
Von der selbsternannten AHK war trotz wiederholter Versuche seit Montag keine Stellungnahme zu den Ungereimtheiten zu erlangen. Ein Pressesprecher teilte am Donnerstagnachmittag in einer E-Mail mit, man brauche zur Beantwortung der Fragen mehr Zeit. Gemäß Homepage hat die Kammer 1800 Mitglieder, 1000 Kunden sowie 30 Mitarbeiter. Sechs der zwölf Vorstände tragen deutsche Namen. E-Mails an die genannten Adressen waren unzustellbar.
Ob die Delegationsreisen überhaupt zustande kommen, sei unklar, sagt Michael Tockuss, früherer Geschäftsführer der AHK in Teheran. „Es ist für Iraner verdammt schwierig, ein Visum zu bekommen, wenn es in Deutschland keine einladende Institution gibt, die für sie bürgt, das gilt vor allem für Messereisen“, sagt er. Tockuss ist heute geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Iranischen Handelskammer in Hamburg. Trotz der Abkürzung DIHKeV hat sie mit der Dachorganisation DIHK ebenfalls nichts zu tun und nutzt auch deren Insignien nicht. Der Begriff „Kammer“ ist in Deutschland nicht geschützt.